Die Katastrophe
begann. Der breite weiße Streifen schimmerte im Sonnenlicht. Je höher sie kamen, desto öfter überquerten sie eine Schneerinne, bald darauf immer größere Schneefelder. Und zunehmend stach die Helligkeit in Katies Augen. Sie zog die Gletscherbrille aus der Seitentasche ihrer Hose und setzte sie auf.
»Hey, da ist sie!« Julia blieb stehen und schrie. »Die Hütte!«
Tatsächlich – dort oben war ganz deutlich ein dunkles Dach hinter einer Felskante zu erkennen. Benjamin, Ana und Julia, die an der Spitze gingen, legten noch einen Schritt zu. Katie fragte sich, woher sie nach all den Strapazen die Energie nahmen, schließlich waren sie seit Stunden unterwegs. Doch allein die Tatsache, wieder im Freien zu sein und sich unbehindert bewegen zu können, schien nicht nur Katie ungemein zu beflügeln.
Sie sah auf ihre Uhr. Sie würden vielleicht noch knapp zwei Stunden brauchen, um bis zur Hütte zu kommen.
»Morgen wird Ben keinen Schritt mehr laufen können«, hörte Katie eine Stimme neben sich. Wieder Paul. Seit dem Tunnelausstieg lief er die ganze Zeit in ihrer Nähe. Ganz egal, was sie machte, ob sie sich zurückfallen ließ oder das Tempo so forcierte, dass sie ihn überholte – Minuten später spürte sie bereits wieder seine Anwesenheit.
»Ben weiß schon, was er tut«, erwiderte sie, obwohl sie sich da nicht ganz sicher war. Denn im Grunde rannte Benjamin wie ein Hund die ganze Strecke mehrfach. Vor und zurück und immer die Filmkamera in der Hand.
»Weiß er nicht. Er hat keinen blassen Schimmer, was ihn morgen erwartet.«
Scheißegal, dachte Katie. Scheißegal, was morgen war. Das hier war nicht der Moment, um negativ zu denken. Jetzt zählte nur eines: Höhe gewinnen und ankommen!
Sie sah sich um und stellte zufrieden fest, wie weit sie schon gekommen waren. Die verkrüppelten Bäume, die sich rund um den Tunnelausstieg gruppierten, wirkten von hier oben wie Miniaturbüsche. Katie spürte förmlich, wie die Luft dünner, rauer wurde. Der Wind war nicht länger die frühlingshafte Brise, er hatte spürbar zugenommen und fegte über sie hinweg, als ob er sie vertreiben wollte aus dieser Einöde aus Steinen, Geröll und Schneefeldern. Aber auch das störte sie nicht weiter. Denn jetzt erst wurde ihr bewusst, dass ihr Hochgefühl nicht nur mit dem Ghost zu tun hatte.
Nein: Sie und die anderen hatten es auch geschafft, das Tal hinter sich zu lassen!
Aus eigener Kraft waren sie dem Grace Valley entkommen!
Katie war auf der anderen Seite der Mauer und diesmal hatte sie niemand zurückhalten können.
Es war Magie.
Doch diese Magie wurde plötzlich durch ein Geräusch zerstört, das Katie vertraut war, wenn es auch in dieser Umgebung neu und – was bemerkenswerter war – seltsam bedrohlich klang. Sie starrte hoch zum Himmel. Das Erste, was sie wahrnahm, war ein breiter Kondensstreifen am Himmel, als ob der Gletscher, der sich wie eine weiße Autobahn den Weg durch die Berge bahnte, im Himmel spiegelte.
Und dann entdeckte sie das Flugzeug.
Es überquerte gerade die gegenüberliegende Gipfelkette und kam direkt auf sie zu.
»He, seht ihr das?«, schrie Benjamin von vorne und dann hüpfte er auf und ab und winkte.
Abrupt blieben alle stehen.
Das Flugzeug verlor an Höhe. Die Tragflächen glitzerten in der Sonne. Sie konnten die Fensterreihen genau erkennen.
»He, was macht der denn? Wenn er noch tiefer fliegt, dann rast er ja direkt in den Ghost!«
Benjamin hatte recht. Das Flugzeug kam direkt auf sie zu, und als es sich über ihnen befand, schien es für einige Sekunden in der Luft stillzustehen. Dann neigte es sich zur Seite, machte eine Kehrtwende, schoss nach oben, flog eine Schleife und drehte nach Norden ab. Verdutzt starrten Katie und die anderen ihm so lange nach, bis es verschwunden war. Übrig blieb nur der Kondensstreifen am Himmel.
»Was war das denn?«, fragte Chris. »Das sah ja fast so aus, als hätte er es auf uns abgesehen.«
»Wahrscheinlich war der Pilot nur auf diese Verrückten neugierig, die sich hier oben herumtreiben«, sagte Benjamin. »Ich hoffe, ich habe alles aufgenommen.«
»Seit wir im College sind, habe ich im Tal noch nie ein Flugzeug gesehen. Ist euch das schon mal aufgefallen?« David runzelte die Stirn.
»Liegt halt auf keiner Flugstrecke.«
»Nein.« Paul schüttelte den Kopf. »Über dem Tal herrscht Flugverbot.«
»Flugverbot? Warum?«
Paul zuckte die Schultern. »Ihr habt eben keine Ahnung.«
»Was meinst du damit?«, wollte David
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