Die Katastrophe
Dose Bier zu. »Hier hat doch tatsächlich ein gütiger Geist für jede Form von Brennstoff gesorgt. Danke, wer auch immer das war.«
Die gute Stimmung hielt an. Katie konnte nicht glauben, dass die Rivalität zwischen David und Chris Julia vor ein paar Stunden noch fast das Leben gekostet hätte. Nichts mehr war davon zu spüren.
Julia hatte die Makkaroni in den Ofen geschoben und nach einer guten halben Stunde durchzog ein köstlicher Duft die Hütte.
Katie knurrte der Magen und den anderen schien es ähnlich zu gehen. Während sie aßen, färbte hinter ihnen die Sonne die Bergkulisse rot und es sah aus, als ob das wärmende Feuer im Ofen seinen Widerschein am Himmel fand.
»Was meint ihr? Sollen wir Debbie anrufen und sie ein wenig in Panik versetzen?« Benjamin nahm einen langen Schluck Bier. »Vermutlich schläft sie schon«, meinte Julia und grinste Katie zu. »Mit ihren Lockenwicklern im Haar.«
Benjamin zog das Handy aus der Hosentasche und ließ sich von Julia die Nummer diktieren.
»Lautsprecher!«, rief Chris.
Das Tuten des Telefons hörte sich hier in der Abgeschiedenheit mitten in den Bergen völlig fehl am Platz an und – dann brach es einfach ab.
»Keine Verbindung«, sagte Benjamin. »Schade. Ich hätte sie zu gerne ein bisschen verarscht.«
Danach saßen sie ums Feuer herum und erst als die letzten Holzscheite bis zur Glut heruntergebrannt waren und die Ersten von ihnen herzhaft zu gähnen begannen, kroch Katie etwas den Nacken hoch. Ein seltsames Gefühl, das ihr Gänsehaut bereitete. Es ist nur die Müdigkeit vermischt mit der Aufregung vor dem nächsten Tag, sagte sie sich. Aber irgendetwas hatte es ausgelöst. War es der Moment gewesen, als Paul plötzlich die Karte hervorgezogen hatte und mit betont besorgtem Blick meinte: »Leute, das heute war nur ein Kinderspiel. Die wirkliche Prüfung findet erst morgen statt.«
»Prüfung?« Benjamins Alkoholspiegel war schon so hoch, dass seine Sprache merklich undeutlich wurde. »He, bist du dein Vater? Hast du keine anderen Sprüche drauf? Das ist keine Prüfung morgen, das ist ein Weg, der zwischen Leben und Tod entscheidet. Meinst du, ich hätte mir heute den Arsch aufgerissen, um irgendeine verfickte Prüfung zu machen? Deswegen bin ich doch am Grace! Weil ich keine Aufnahmeprüfung machen musste.« Er lachte.
Niemand lachte mit.
Katie zuckte zusammen. Auch sie hatte nicht die Aufnahmeprüfung machen müssen, von der alle am Grace nur mit Ehrfurcht sprachen. Die Prüfung war weit über die Landes-grenzen hinaus berüchtigt, denn nur die wenigsten bestanden und konnten einen der begehrten Collegeplätze ergattern.
Dass Katie die Prüfung nicht hatte ablegen müssen, hatte sie auf ihre Noten geschoben. Benjamin dagegen war ein völlig anderer Fall. Seine Leistungen am College waren bestenfalls mittelmäßig zu nennen und ehrlich – sie hatte ihn noch nie lernen sehen. Die Bibliothek besuchte er nur, weil es dort laut seinem eigenen Urteil am ruhigsten und wärmsten war. Meistens saß er dort irgendwo auf dem Boden herum, stöberte in Büchern über Filme und Videotechnik oder er lag zwischen den Regalen und hörte Musik.
Katies Blick wanderte zurück zu Pauls Karte, die ausgebreitet auf dem Tisch lag.
»Was wollt ihr eigentlich mit diesem Fetzen Papier?«, ergriff Benjamin erneut das Wort. »Da ist weder dieser ekelhafte Sumpf eingezeichnet noch dieser Höhlengang, durch den wir uns gequält haben. Wischt euch den Arsch damit – das ist der einzige Sinn, den sie hat. Woher hast du das Ding überhaupt?«, wandte er sich lallend an Paul, der aufgestanden war, um Holz im Ofen nachzulegen. »Hast du die bei deinem Vater gefunden? Hat er sie in irgendwelchen Büchern versteckt? In einem der unzähligen Proust-Bände, mit denen er die Nerven von Generationen von Studenten ruiniert?«
Paul antwortete nicht. Katie konnte sein Gesicht nicht sehen, da er mit dem Rücken zu ihnen vor dem Ofen kniete. Benjamin sprang auf, zog ein Feuerzeug aus der Tasche, knipste es an und hielt es unter die Karte. »Genauso gut können wir sie gleich verbrennen.«
»Das reicht, Ben. Hör auf«, sagte David. Seine Stimme klang überraschend scharf.
»Warum? Der Typ wollte sich einfach mit diesem wertlosen Stück Papier bei Katie einschleimen.«
»Bei mir kann sich niemand einschleimen«, erwiderte Katie von oben herab.
»Da bin ich mir nicht so sicher.« Über Benjamins Gesicht lief ein hämisches Grinsen. »Du hast doch monatelang nach einer Karte gesucht.
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