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Die Katastrophe

Die Katastrophe

Titel: Die Katastrophe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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anderen war draußen. Benjamin vielleicht, der vermutlich kotzen musste. War das nötig gewesen, dass er sich bis zum Anschlag mit Bier volllaufen ließ und sie nun zu Tode erschreckte?
    Julia trat vor die Tür der Hütte.
    Nach dem Blick aus dem Fenster der Schlafkammer hatte sie eine tiefschwarze Dunkelheit erwartet, eine sternenlose Düsternis, in der man verschwinden konnte, sich auflöste, weil man nicht mehr unterscheiden konnte, wo man – verflucht noch mal – war. Wie in diesem Tunnel gestern.
    Stattdessen zeigte sich der Horizont in einem unwirklichen Licht, als ob die Gipfel ihr gegenüber von innen heraus leuchteten und den Himmel grün färbten. Blau – ja, das hätte sie ja noch verstanden. Aber grün?
    Sie hatte keine Zeit, länger darüber nachzudenken, denn wieder hörte sie dieses Wimmern. Ein Wimmern, aus dem sie nun einzelne Worte zu vernehmen glaubte.
    Hilfe!
    Helft mir!
    Hilfe!
    Die Stimme war nun deutlich zu hören. Julia erstarrte vor Entsetzen. Es war eindeutig eine Mädchenstimme! Doch Ana und Katie lagen ganz ruhig und friedlich in ihren Schlafsäcken. Also musste sie sich täuschen.
    Julia schloss für einen Moment die Augen und konzentrierte sich darauf, logisch zu denken. Das war ihre Stärke. Immer wenn ihr Bruder Robert eine von seinen Halluzinationen hatte, versuchte sie, ihn mit logischen Argumenten auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.
    Sie musste das Gleiche jetzt nur für sich selbst tun.
    Okay, Julia. Du wärst da gestern Nachmittag in diesem Tunnel fast draufgegangen. Noch dazu kam dieser anstrengende Marsch hier herauf. Dann das Foto heute Abend und die Aussicht auf den morgigen Gipfelanstieg. Kein Wunder, dass du durchdrehst!
    Julia atmete tief durch.
    Sie musste da nicht hoch. Was wollte sie auf dem Ghost erfahren, was sie nicht schon wusste? Was wollte sie beweisen?
    Die Leiche ihres Vaters würde sie dort oben auf dem Gipfel nicht finden. Ihr stand nur allzu klar vor Augen, wie er vor einem Jahr gestorben war. Nicht in dreitausendfünfhundert Metern Höhe, sondern eingepfercht in dem Kofferraum seines Mercedes. Ermordet.
    Und ich?
    Ich?
    Ich?
    Hatte sie selbst das gerufen – oder die Stimme?
    Es gab keine Stimme hier. Nur sie selbst!
    Und wenn Benjamin tatsächlich um die Hütte strich? Für ihn wäre es ein Riesenjoke, ihr Angst einzujagen.
    Im nächsten Moment wandte sie sich um, schlug die Tür der Hütte hinter sich zu und rannte quer durch den Raum die Treppe hoch. Nein, sie bemühte sich nicht, leise zu sein. Ihre Schritte trampelten über die Holzstufen. Irgendjemand musste einfach von dem Lärm wach werden!
    Julia riss die Tür zum Zimmer der Jungs auf und erwartete, jeden Augenblick Protestschreie zu hören, doch nur ein Schnarchen antwortete ihr.
    Hier drin gab es kein Bett, lediglich ein Matratzenlager.
    Sie beugte sich über die Schlafenden. Während von Paul und David unter den dicken Decken kaum etwas zu sehen war, wusste sie sofort, dass Chris ganz außen lag. Sie konnte ihn atmen hören. Es klang so vertraut. Sie sollte sich einfach neben ihn legen, ganz dicht. Dann würde alles gut werden, dann wäre sie in Sicherheit.
    Doch ein lautes Schnarchen vertrieb diesen Gedanken. Es war tatsächlich Benjamin, der direkt neben Chris lag! Er war nicht draußen vor der Hütte! Das Geräusch stammte nicht von ihm.
    Ihre Gedanken jagten. Wo war seine Kamera? Sie tastete sich die Bettdecke entlang und fand sie direkt neben seinem Kopf. Wusste sie es doch! Wenn jemals Kontaktlinsen mit Videofunktion erfunden würden, wäre Benjamin der Erste, der diese neue Technik nutzen würde.
    Ohne weiter zu überlegen, griff Julia nach dem Gerät. An der Tür zögerte sie für einen kurzen Moment, doch dann gab sie sich einen Ruck und kehrte nach draußen zurück.
    Kalte Luft schlug ihr ins Gesicht. Sie lauschte. Dieses Wimmern – war es verschwunden?
    Ja. Es herrschte Stille.
    Totenstille.
    Julia atmete erleichtert auf, entspannte sich. Okay, nun hatte sie den Beweis. Es war Einbildung gewesen, ihre Fantasie, die nach einem völlig verrückten Tag durchdrehte.
    Sie wollte sich gerade umdrehen und zurück ins Bett gehen, da hörte sie die Mädchenstimme wieder. Abermals rief sie um Hilfe und abermals fuhr Julia so zusammen, als ob ein Stromschlag durch ihren Körper gejagt wäre.
    Diesmal zögerte sie keine Sekunde. Sie wandte sich nach links Richtung Gipfel. Richtung Ghost, wo die Stimme herkam, und rannte los. Hatte der Berg daher seinen Namen, dass dort Wesen wohnten,

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