Die Katastrophen-Welt
benutzten auch die Hände dazu. Mehrmals hörte ich »Kreta« und »Sizilien«. Dann schüttelte der ältere Junge den Kopf. »Nicht können fahren nach Kreta, Señor. Ist alles ...« Er überlegte und wedelte mit den Händen herum. »... trockenes Land dazwischen.«
Ich fragte sie aus, so gut ich konnte und erhielt auch ein ziemlich klares Bild. Sizilien war nicht länger eine Insel. Die Südspitze war mit Kap Bon verbunden, und im Norden vereinte sie sich mit dem italienischen Festland. Na ja, was konnte ich machen? Ich gab der netten Familie eine Handvoll Geld und kehrte zu meiner Jacht zurück. Im letzten Augenblick kam Papa mir mit einem Krug Landwein nach. Ich schenkte ihm noch eine Schachtel Zigaretten und brach auf.
Sie hatten recht gehabt. Ich schaffte es südlich gerade noch an Sardinien vorbei, aber mein Kiel streifte schon fast den Grund, und die Luft wurde mit jeder Meile stickiger. Nach einem weiteren halben Tag über Untiefen kam ich im Hafen von Neapel an, der noch brav in Meereshöhe lag. Durch die dichte Rauchdecke dort war der feuerspeiende Vesuv nicht mehr als ein heller Schleier. Ich hatte mir die Atemmaske wieder umgebunden und legte um drei Uhr nachmittags in einer Dunkelheit wie bei einer Sonnenfinsternis an. Innerhalb einer halben Stunde hatte ich meine Jacht an einen schnellentschlossenen Burschen verkauft, der wie ein Marsianer in einer antiken Gasmaske aussah und den dreckigsten weißen Anzug trug, den ich je gesehen hatte. Der Handel war für mich nicht der beste, aber ich bekam zumindest, was ich brauchte – einen Turino, ein ziemlich neues Modell sogar. Ich hätte das Boot lieber untergestellt, aber das wäre in Neapel sogar in normalen Zeiten riskant gewesen.
Ich lud zwei Kisten Notrationen aus der Jacht in den Wagen und die verpackte Artillerie. Eine Stunde später war ich schon auf der Straße nach Tarent. Von dort aus, so hatte mir jedenfalls mein neuer Geschäftsfreund versichert, konnte ich mit Luftkissen über etwa hundert Kilometer ehemaligem Meeresgrund bis zum griechischen Festland fahren. Er wußte nichts über Kreta, nahm jedoch an, daß ich hinkommen könnte, ohne mir die Socken naß zu machen.
Mitternachtsschwarzer Dunst verband den Vesuv mit dem Ätna. Leute sah ich die ganze Strecke kaum, selbst in Neapel waren nur wenige auf der Straße gewesen. Der Grund war leicht zu verstehen. Selbst mit geschlossenen Scheiben und der heftig arbeitenden Filteranlage war die Luft zum Schneiden dick. Ich pflügte mich hindurch. Meine Neuerwerbung schaffte achtzig Sachen über die Apeninnen, und hundertvierzig auf der Ebene.
Die Annahme meines Geschäftsfreundes bestätigte sich: Die Straße von Otranto war eine sonnengehärtete Strecke von mit Steinen gespicktem Lehm. Das Licht war hier besser. Die Berge hielten offenbar viel vom Rauch der Vulkane zurück. Die Überquerung dauerte zwei Stunden. Später, auf höherem Grund, schwenkte ich südwärts ab und schlängelte mich durch das gebirgige Land. Gegen Sonnenuntergang erreichte ich ein sumpfiges Terrain, von dessen gegenüberliegendem Ende Kreta wie eine schwache Lichtlinie zu sehen war. Unter überhängenden Felsen am ehemaligen Strand machte ich Rast und schlief bis zum Morgengrauen.
Die Küste Kretas war eine ausgedörrte Felsenlandschaft unter dem von Rauch verfärbten Sonnenaufgang. Etwa einen Kilometer landeinwärts stieß ich auf eine Straße, der ich zu einer Stadt folgte, die auf meiner Karte als Chania angegeben war und offensichtlich nicht allzusehr gelitten hatte, jedenfalls herrschte reges Treiben. Ich parkte auf einer breiten Straße, auf deren Bürgersteig Händler ihre Ware feilboten. Einen halben Block von meinem Wagen entfernt leuchtete ein Neonzeichen – eine Bar. Ich trat ein. Es war ruhig wie in einer Kirche. Ein gedrungener dunkler Mann in sauberer weißer Weste polierte die ohnehin blitzblanke Theke, als ich mich auf einen Hocker schwang.
»Weinbrand«, bestellte ich. »Leisten Sie mir doch Gesellschaft.«
Er füllte zwei Gläser und wir prosteten einander zu. »Kommen Sie aus dem Süden?« fragte er. Ich schüttelte den Kopf, und er fragte nicht weiter. Die Tür ging auf. Jemand setzte sich auf den nächsten Hocker. Ich sah ihn mir im Barspiegel an. Er hatte ein kantiges, sonnengebräuntes Gesicht, hellblondes Haar im Kennedyschnitt, und einen Nacken wie eine Bulldogge. Ich spürte geradezu, wie sich mein Gesicht zu einem strahlenden Grinsen verzog. »Einen Drink für Mr. Carmody«, bat ich den
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