Die Katastrophen-Welt
Deckung. Niemand feuerte.
Ich robbte wieder zu meinem Astloch zurück und zielte auf den Mann hinter der .88er. Er ging zu Boden wie eine von Wühlmäusen angenagte Vogelscheuche. Eine Schulter tauchte links von der Kanone auf. Ich schoß darauf, und sie verschwand. Jemand rannte über Deck. Ich verfehlte ihn. Ein anderer versuchte, den Abzugsbügel zu erreichen. Ich lehrte ihn das Fliegen. Der Kutter lag nun ohne alle Zweifel schräg. Er hatte gewendet und drehte mir jetzt das Heck zu. Niemand bewegte sich in der Nähe der Kanonen.
Als der Kutter sich etwa hundert Meter entfernt hatte, jagte ich ihm meine letzten zwei Runden nach, dann lief ich geduckt zum Cockpit und versuchte den Starter. Der Dieselmotor ächzte zuerst, dann legte er los. Ich beschäftigte mich mit dem Ruder, drehte es rechts, dann links in hübschen Kurven. Es dauerte eine ganze Minute, ehe die Geschütze des Kutters die erste Runde ausspuckten – und weit daneben. Sie versuchten es noch zweimal ohne Erfolg, dann gaben sie auf. Als ich zum Luftholen hochkam, war er bereits eine Meile heckwärts, mit einer Seite ziemlich tief.
Die aufgehende Sonne malte rote Streifen über die Wellen. Ich korrigierte meinen Kurs und stellte die Steuerung auf Automatik. Dann ging ich zum Tank, um nach Ricia zu sehen.
Sie war wach und sah dünner und durchsichtiger denn je aus, aber sie lächelte mich an und sagte etwas mit viel zu schwacher Stimme.
»Tut mir leid, Mädchen.« Meine Stimme hörte sich in meinen Ohren komisch an, wie eine schlechte Schallplatte, die der Wohnungsnachbar mit kratzender Nadel abspielt. »Ich kann dich nicht hören. Zu viele laute Geräusche in letzter Zeit zu dicht an meinen Ohren. Wie fühlst du dich?«
Sie schüttelte den Kopf und deutete auf ihre Ohren. Sie war so taub wie ich. Ich drückte meine Hand auf ihre Stirn. Die Temperatur war richtig. Auch ihr Puls war gut: stark und gleichmäßig.
»Ich bringe dir Suppe.« In der Kombüse öffnete ich eine Dose, kochte Wasser und richtete ein Tablett her. Außer der Suppe gab es Toast und ein Glas Orangensaft. Sie wollte sich aufsetzen, als sie die guten Dinge sah, aber ich bemerkte, wie schwer es ihr fiel. Schnell holte ich Kissen aus der Kabine, stopfte sie ihr in den Rücken und fütterte sie mit dem Löffel. Sie aß wie ein ausgehungertes Kätzchen. Dann hob sie einen Arm, der ihr viel zu schwer war, und berührte sanft mein Gesicht. Ich sah, wie sich ihre Lippen bewegten, aber ich hörte nur »Mal«. Dann betastete sie ihre Augen. Dunkle Flecken ließen sie noch tiefer erscheinen – Blutergüsse von den Äderchen, die durch das plötzliche Nachlassen des Drucks geplatzt waren, als wir an die Oberfläche stießen.
Wir hatten beide verdammtes Glück gehabt. Abgesehen von noch ein paar Blutergüssen, die nicht viel schmerzhafter als Verrenkungen waren, hatten wir unser Abenteuer ohne größere Verletzungen überstanden. Ich wollte sie in die Kabine tragen. Aber im Augenblick war ich selbst noch zu schwach dazu. Ich deckte sie gut zu, vergewisserte mich, daß der Ventilator seine Pflicht tat, und verzog mich in die Kabine und auf meine Koje. Ich war sofort weg.
Als ich erwachte, war es Spätnachmittag. Ich stand auf und torkelte zum Wandspiegel. Das Gesicht, das mir entgegenblickte, wäre genau das Richtige für einen Horrorfilm gewesen. Beide Augen waren purpurschwarz und so stark geschwollen, daß ich die Lider kaum bewegen konnte. In meinem Haar war verkrustetes Blut, und zwischen meinen Bartstummeln ebenfalls. Was vom Rest zu sehen war, war fahlgrau.
Ich tauchte meinen Kopf in kaltes Wasser, dann in heißes und nahm mir Carmodys Rasierapparat. Die Dusche konnte warten, bis ich mich um Ricia gekümmert hatte. Sie war wach und ihre Wangen hatten wieder ein wenig Farbe angenommen. Ich kochte noch einmal Suppe für sie, brachte ihr heißes Wasser, Seife und einen Kamm dann gönnte ich mir die verdiente Brause. Carmodys Sachen waren mir ein wenig groß, aber mit aufgerollten Hemdsärmeln und Hosenbeinen ging es schon. Nun war Zeit, zu tun, was getan werden mußte.
Carmody war schwer. Ich brauchte fünf Minuten, ihn über die Reling zu hieven. Er war ein guter Mann gewesen und war gestorben, weil er mir helfen wollte. Er hätte eine bessere Bestattung verdient, aber es war heiß hier, und Ricia würde bald an Deck kommen.
Rassias war leichter. Hinterher spülte ich einen Eimer Salzwasser über die Planken und schrubbte nach. Die Fliegen schienen zutiefst beleidigt. Sie summten
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