Die Kathedrale der Ketzerin
sicher auf diesen Mann.
»In Eile«, fuhr er fort, »können wir beileibe nicht alles abhandeln,
was vonnöten ist, aber ich habe Euch einiges zu berichten, was Eurem weiteren
Vorgehen dienlich sein sollte.«
Und dann beging er einen gewaltigen Fehler. Der Bischof, den die
gleichen Wünsche und Beschwerden bewegten, der all dies aber erheblich
gefälliger formuliert hätte, versuchte Beaujeu aufzuhalten, als dieser mit
deutlichem Groll in der Stimme brummte: »Königin Blanka …«
»… die wir lieben und ehren«, flüsterte ihm der Dominikaner hastig
zu, aber Beaujeu ließ sich nichts vorsagen, wechselte die Tonart und brüllte:
»Königin Blanka hat ihr Wort gebrochen und uns schmählich im Stich gelassen!«
Theobald sprang auf.
»Was untersteht Ihr Euch, so von Eurer Königin zu sprechen!«, rief
er mit hochrotem Kopf. Der Inquisitor senkte das Haupt. Für Diplomatie war es
jetzt zu spät. Es würden zornige Worte fallen. Aber gut, auch die konnten
manchmal weiterhelfen. Kein Kirchenmann unterschätzt die Gewalt des Wortes.
Beaujeu hatte sich ebenfalls erhoben. Er ballte die Faust und
schüttelte sie Theobald entgegen.
»Was meint Ihr, was wir hier tun? Und wovon wir das bezahlen?
Die Königin zieht den Zehnt von den kirchlichen Gütern ab, ohne den Krieg gegen
die Ketzer weiterzuführen! Ausschließlich zu diesem Behufe wurden ihr diese
Abgaben zugestanden! Doch sie verschwendet die Gelder in ihrem höchsteigenen
Krieg gegen die Barone! Um ihre Macht zu erhalten, opfert sie das Languedoc,
den ganzen Süden! Wofür ihr Gemahl gestorben ist und wofür wir so hart
kämpfen! Königin Blanka versündigt sich an dem Gedenken König Ludwigs, an der
Kirche, an ihrem Volk und an allem, was dem ehrenwerten Franzosen heilig
ist!«
Theobald wäre dem Hausherrn an die Gurgel gesprungen, hätte sich der
Geistliche nicht rasch erhoben und zwischen die beiden geschoben.
»Ihr geht entschieden zu weit!«, beschied er dem Hausherrn streng.
»Unsere edle Königin ist gottesfürchtig und kennt ihre Pflichten. Sie ist
voller Mitgefühl für ihre Untertanen, ist sich unserer Lage bewusst und wird
gewiss schleunigst Unterstützung ins Languedoc schicken, meint Ihr nicht
auch?«, wandte er sich an Theobald.
Der atmete tief durch.
»Ich werde es ihr ausrichten, Ehrwürdiger Vater«, murmelte er.
»Mehr verlangen wir gar nicht«, sagte der Dominikaner begütigend.
Theobald, der noch Sekunden zuvor fest entschlossen gewesen war, mit
Clara und seinen Mannen unter Protest die Burg zu verlassen und irgendwo unter
freiem Himmel zu nächtigen, entschied sich trotz innerlichen Widerstrebens für
den diplomatischen Weg: »Kein Wesen auf Gottes Erdboden ist größeren Prüfungen
ausgesetzt als Königin Blanka. Wenn ihr die aufständischen Barone Frankreichs
Krone entreißen, wird niemand Truppen ins Languedoc schicken und der Graf von
Toulouse in seinem Sündenpfuhl ewig weiterwalten können. Meiner Treu, so
begreift doch, Ihr Herren, dass die Königin zuerst die Voraussetzungen schaffen
muss, um Toulouse zum Einlenken zu zwingen, sei es durch Verhandlungen oder die
Wiederaufnahme des Kreuzzugs. Sie bedarf der Unterstützung von euch allen, um
die Aufgaben zu erfüllen, die ihr Gott zugewiesen hat.«
Eher der Satan, dachte Clara, denn wie hätte ein wahrhaft gütiger
Gott all dieses Hinschlachten und Blutvergießen in Auftrag geben können?
Raimund von Toulouse verlegte die Unterrichtsstunde seiner
siebenjährigen Tochter Johanna unter den blühenden Zitronenbaum im Hofgarten.
Er selbst hatte die Erfahrung gemacht, dass es sich in der erwachenden Natur
bei frischer Luft besser lernen ließ.
»Sie macht große Fortschritte, vor allem im Lateinischen«, bemerkte
Johannas Lehrer, der junge Perfectus Alexander, als er mit dem Grafen von
Toulouse dem vor ihnen her hüpfenden Mädchen in den Garten folgte. »Nur
schweifen ihre Gedanken oft ab.«
»Kein Wunder«, entgegnete Raimund finster. »Die Mutter fehlt ihr.
Mit einem Sohn könnte ich auf die Jagd gehen, aber was verbindet mich mit einem
Mädchen?«
»Vielleicht die griechische Tragödie?«, schlug Alexander vor.
»Johanna scheint hellauf begeistert von der Orestie zu sein. Und da Ihr
Aischylos doch auch schätzt …«
»Ist sie nicht zu jung für dieses Drama?«
»Welches Alter haltet Ihr denn für angemessen, um einem Menschen
seine Ohnmacht angesichts höherer Kräfte zu vermitteln?«
Der Graf blieb stehen, pflückte eine Mandelblüte und roch daran.
»Alexander«,
Weitere Kostenlose Bücher