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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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darauf vorbereitet war, den Abgesandten der Königin
würdig zu empfangen und gleichzeitig sein eigenes Terrain zu verteidigen.
    »Ich bin so froh, dich wiederzusehen!«, rief sie, ihren Bruder
umarmend. Endlich, endlich war sie zu Hause!
    Theobald hielt sich zurück. Er konnte sich gut vorstellen, was in
dem Grafen von Toulouse bei diesem Überfall vorging, und er genoss die Dramatik
des Augenblicks.
    Ein kleines Mädchen schob sich an den Männern des gräflichen Hofs
vorbei, die mit äußerst gemischten Gefühlen den kleinen Trupp aus dem Norden
begutachteten.
    »Vater, ist das meine Tante Clara?«
    Clara ließ ihren Bruder los, ging in die Hocke, schaute auf das
kleine Kind mit den blauschwarzen Haaren und den hellgrauen Augen wie in einen
Spiegel der Vergangenheit und fragte flüsternd: »Wie heißt du?«
    »Johanna. Bist du meine Tante Clara?«
    Clara nickte.
    »Und du hast auch Angst, über das Gras zu laufen, weil unter deinen
Füßen so viele kleine Wesen sterben müssen?«, fragte Johanna.
    Clara hob das Kind auf, drückte es an ihre Brust und sah ihren
Bruder fragend an.
    »Wir sind schon ein seltsames Geschlecht«, sagte der fast
entschuldigend, »bei dem sich alles zu wiederholen scheint. Du hast dich wie
einst deine Mutter offenbar den Katharern angeschlossen …«, er berührte einen
Ärmel ihres schwarzen Kleides, »… meine Tochter fürchtet wie du, über die Wiese
zu gehen, aus lauter Angst Insekten zu zertreten, und ich muss mich wie unser
seliger Vater ständig von Kirche und Krone drangsalieren lassen.« Seufzend
setzte er hinzu: »Und jetzt ist es wohl an der Zeit, den Grafen von Champagne
gebührend zu begrüßen.«
    Er wandte sich ab. Clara blickte ihm erschrocken nach.
    »Ich dachte, meine Mutter ist tot«, flüsterte sie.
    »Vielleicht ist sie ja nur weggegangen und kommt irgendwann wieder zu
dir zurück«, sagte das Kind auf ihrem Arm. »Wie meine.«
    Wohl selten waren sich zwei Männer auf den ersten Blick so
sympathisch wie Theobald und Raimund. Wiewohl sie gänzlich unterschiedliche
Interessen vertraten, entdeckten sie schon am ersten Abend ihre
Gemeinsamkeiten. Raimund, der sein ganzes Leben lang alles bekämpft hatte, für
das Theobald stand, musste sich eingestehen, dass der Mensch, dem er
gegenübersaß, unter anderen Umständen sein bester Freund hätte werden können.
    Theobald, der in Raimund bisher nur den Dorn im Fleische von Blankas
Reich gesehen hatte, erkannte in ihm eine verwandte Seele. Was ihn zutiefst
verstörte.
    Clara kümmerte sich gemeinsam mit Alexander um Johanna, von der sie
äußerst angetan war; Raimund schickte seine Bediensteten fort, Theobald seine
Ritter. Allein im großen Saal saßen sich die beiden Männer am ersten Abend an
einem geschnitzten Tisch aus nahezu schwarzem Holz gegenüber.
    »Meine Schwester schätzt Euch sehr«, begann Raimund und hob seinen
Pokal.
    »Ich sie auch«, erwiderte Theobald. »Sie hat mich die Welt mit
anderen Augen sehen gelehrt.« Die Wahrheit dieser Aussage überraschte ihn
selbst.
    »Mit falschen?«, fragte Raimund lauernd.
    »Vielleicht. Sie ist immerhin eine Häretikerin.«
    »Und Ihr habt sie dennoch geschützt?«
    »Wie sollte man Clara nicht schützen können?«, fragte Theobald ein
wenig ungehalten.
    »Ihr hättet sie auch ausliefern können.«
    Der Blick, den Theobald dem Grafen von Toulouse zuwarf, offenbarte
Raimund alles. Hier war ein Mensch.
    Theobald dachte an den Abend in Castelsarrasin, an Humbert von
Beaujeu und den Bischof-Inquisitor. Daran, wie unbehaglich er sich im Kreise
derer gefühlt hatte, die Ansichten vertraten, denen auch er sich verschrieben
hatte und für die er in den Krieg gezogen war. Wie viel weniger er mit den
Männern gemein hatte, mit denen er an einem politischen Strang zog, als mit dem
gemeinsamen Gegner Raimund, der für die schönen Dinge des Lebens, wie Musik,
Literatur und Kunst, ähnlich zu empfinden schien wie er. Und der gefangenen
Franzosen Nase und Ohren abhacken ließ, bevor er sie zu den Ihren
zurückschickte. Erst später sollte er Raimund mit dieser Tatsache konfrontieren
und sich dann gezwungen sehen, seinerseits die Grausamkeiten der Franzosen zu
rechtfertigen.
    Der Graf von Champagne blieb nämlich erheblich länger in Toulouse
als geplant oder für die Übergabe von Blankas Nachricht erforderlich gewesen
wäre. Er nickte beifällig, als Raimund die wohlgesetzte Schrift seiner Cousine,
ihre diplomatischen, ja, nahezu herzlichen
Worte lobte und zutiefst bedauerte, durch

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