Die Kathedrale der Ketzerin
Tatsachen
macht die Ketzerei so unglaubwürdig. Wenn das einfache Volk dies doch endlich
begreifen könnte! Jedenfalls habe ich der Dame das sogenannte Consolamentum,
diese angebliche Tröstung, erteilt. Sie nahm es an, bekannte sich damit offen
zur Häresie …«
»… weshalb sie gleich darauf dem Scheiterhaufen überantwortet
wurde«, unterbrach Beaujeu lachend und schlug sich auf die fetten Schenkel.
»Dies ist kein Grund zum Scherzen«, wies ihn der Geistliche streng
zurecht. »Allzu viele leugnen die Taufe, die Weihe des Blutes und Leibes des
Herrn und bringen damit Unglück über das Land, die Heilige Kirche und sich
selbst. Das ist höchst beklagenswert. Vor wenigen Wochen wurden auf dem Konzil
in Narbonne zwanzig Beschlüsse gefasst, nach denen die Ketzer, die Juden und
der Graf von Toulouse künftig mit doppelter Strenge verfolgt werden sollen. Es
geht vor allem nicht mehr an, dass die Reichen ihr Vermögen den Ketzern
zukommen lassen, ihnen gar ganze Burgen vererben. Also blieb der Kirche nichts
anderes übrig, als ihre Gewalt auszubreiten.«
Kurz führte er aus, dass von nun an jedes Testament ohne die
Unterschrift eines katholischen Geistlichen für ungültig erklärt werden würde
und jedem noch so kleinen Kirchspiel ein eigener Inquisitor zugeordnet worden
sei.
Clara war während seines Vortrags sehr blass geworden. Der Blick des
Bischofs blieb mit einem Mal an ihr hängen.
»Du isst kein Fleisch, meine Tochter?«, fragte er freundlich.
»Es bekommt mir nicht«, antwortete sie.
»Vielleicht etwas Fisch?«, fragte der Mönch und deutete auf die
gebratenen Forellen.
Clara schüttelte den Kopf. Ihr war jeglicher Appetit vergangen.
»Sie ist vor zwei Tagen vom Pferd gestürzt«, bemerkte Theobald
hastig, als erklärte dies die karge Brotmahlzeit, die Clara zu sich genommen
hatte.
»Reisen kann überaus gefährlich sein, vor allem in diesen Breiten«,
sagte der Inquisitor und setzte hinzu: »Die Ketzer sind auch daran zu
erkennen, dass sie kein Fleisch essen. Fisch lassen sie sich allerdings
schmecken, denn dieser entstammt ihrem häretischen Verständnis nach nicht der
Zeugung, sondern dem Wasser, kann also keine arme gequälte Wanderseele
beherbergen.«
Er wandte sich Clara wieder zu. »Ich möchte dir, mein Kind, einen
Rat geben. Trage doch ein Gewand in fröhlicheren Farben! Deine dunkle
Kleidung könnte dir großen Kummer bereiten und in dieser Gegend leicht zu böser
Verwechslung Anlass geben.«
»Und eine Helle zu häufigem Säubern«, warf Theobald ein. »Ich habe
Doña Clara angefleht, unterwegs auf ihre seidenweißen kastilischen Gewänder zu
verzichten und angemessene Reisekleidung zu tragen, da wir es sehr eilig haben
und uns nicht mit Putz aufhalten können.«
Dafür hätte er wenigstens einen freundlichen Blick verdient, fand
er. Aber Clara beachtete ihn überhaupt nicht.
»Eben, dass Ihr es so eilig habt, will mir gar nicht gefallen«,
meldete sich jetzt der Hausherr zu Wort, enttäuscht über den fehlenden Humor
seiner Gäste. Seine launige Geschichte hätte schon etwas mehr Heiterkeit
hervorrufen können, fand er. Schließlich gab es auf seinem Posten ansonsten
wenig zu lachen.
Nach dem Abzug des Königs und dessen Tod hatte sich das Ketzertum
wieder ausbreiten können, im Süden Caracasonnes war sogar eine neue katharische
Diözese gegründet worden. Grafen, die dem König im Vorjahr einen Treueid
geschworen hatten, waren rückfällig geworden, zahlten keinen Zehnt und
unterstützten Häretiker, die fleißig für sie arbeiteten und ihren Reichtum
mehrten. Ganz offen redete der Kleinadel darüber, wie geeignet doch Perfecti
zur Erziehung der Knaben seien, da sie sich durch Strenge, Kenntnisreichtum,
eigene Bedürfnislosigkeit und anregende philosophische Diskurse auszeichneten.
Beaujeu zog unablässig mit seinem Heer durchs Land, um das Übel der
Häresie auszumerzen, Ketzer aufzuspüren, die säumigen Grafen an ihre Pflichten
gegenüber dem Königreich Frankreich zu gemahnen und Raimund von Toulouse zu
bekämpfen. Und ein ums andere Mal musste er sich anhören, das Languedoc sei
nicht französisch und solle es auch niemals werden.
Immer wieder forderte er neue Truppen an, stieß aber bei der
anderweitig beschäftigten Königin auf taube Ohren. Doch jetzt war der Graf von
Champagne zu ihm gekommen, der, wie man allerorten vernahm, eine höchst innige
Beziehung zur Frau auf dem Königsthron pflegte. Wenn diese schon nicht auf
ihren Statthalter im Süden hörte, dann doch
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