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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Schritt mehr
unbeaufsichtigt tun. Wen konnte sie mit diesem Auftrag bevollmächtigen? Zu
vertraulichen Gesprächen durfte es dabei nicht
kommen. Deshalb schieden Blankas Hofdamen und Hofbeamte, die in dieser
Zeit von der Königin ferngehalten wurden, natürlich als Bewacher aus.
    Ingeborg rief den Hauptmann ihrer eigenen Leibwache zu sich.
    »Die Königin möchte sich selbst jetzt täglich dem Volk zeigen und
sich ein Bild über den Fortgang der Bauarbeiten an der Kathedrale machen«,
sagte sie. »Ich verlange, dass deine Männer sie begleiten und darauf achten,
dass sich ihr niemand unziemlich nähert.« Sie holte tief Luft und fügte
hinzu: »Ein Weiteres noch. Befehle nehmt ihr ausschließlich von mir entgegen.
Sollte euch die edle Königin eine Anordnung geben, müsst ihr deren Ausführung
erst mit mir besprechen. Keinesfalls dürft ihr die von ihrer Krankheit noch
stark geschwächte hohe Frau auch nur einen Schritt lang aus den Augen lassen. Wehrt
jeden ab, der sich ihr nähern möchte. Auch hohe Würdenträger.«
    Gerade die, dachte Königin Ingeborg, sich schaudernd den Unsinn
vorstellend, der von Lisettes schön geformten Lippen perlen würde. »Nur der Weg
zur Kathedrale ist ihr derzeit zuzumuten. Der Baumeister mag ihr Erklärungen
geben. Das richte ich dir im Auftrag ihres Gemahls aus. Der König hat das
Wohlergehen seiner geliebten Gemahlin in meine Hände gelegt.«
    Der Hauptmann nickte. Verstand jetzt, weshalb Königin Ingeborg
anstelle der bedauerlich schwachen Königin Blanka den Boten aus dem Süden
empfangen hatte.
    Lisette war von ihrer neuen Aufgabe gänzlich ausgefüllt. Hatte sie früher als arme Frau ihrem Mann Suppe in
irdener Schüssel zur Kathedrale gebracht, so schritt sie jetzt, von
einer stattlichen Leibwache umringt, nahezu täglich edel geschmückt auf die
Ostspitze der Seine-Insel, nickte den Parisern von Weitem huldvoll zu und ließ
reichlich Almosen verteilen.
    Bald aber langweilte es sie, in dem riesigen Bauwerk und davor unter
Gerüsten herumzuspazieren und die nach dem Ideal des heiligen Augustinus
ineinander verschränkten Quadrate zu bewundern.
    »Natürlich, hier spiegelt sich die harmonische Ordnung des
Universums«, wiederholte sie verständnislos die Worte des Baumeisters, nur, um
irgendetwas zu sagen. Die Strebebögen, die unter den Dächern der Seitenschiffe
hinaufstiegen, nötigten ihr ebenso wenig Bewunderung ab wie das neue
Kreuzrippengewölbe, das die alte Holzdecke ersetzt hatte, oder die Spitzbögen.
Sie unterdrückte ein Gähnen, als der Baumeister der erlauchten Königin mit
leuchtenden Augen erläuterte, wie er wenige Jahre zuvor damit begonnen hatte,
den vierteiligen Wandaufriss mit den beiden übereinanderliegenden Fensterreihen
genau wie in Reims in einen dreiteiligen umzuwandeln. Stolz wies er auf die filigranen Steinmetzarbeiten der neuen Maßwerkfenster
an der oberen Wandfläche des Mittelschiffs hin.
    Lisette ließ den Blick schweifen. Wo arbeitete ihr Mann? Er sollte
sie in ihrer Pracht bewundern, sollte erkennen, wie hoch hinauf sie gestiegen
war, wie unerreichbar sie für ihn geworden war.
    »Ich bedarf der frischen Luft«, unterbrach sie hochmütig die
Ausführungen des Baumeisters und stolzierte, von Ingeborgs Leibwache flankiert,
zu einem der schweren Eichenportale im Westen.
    Besorgt ob der unbarmherzigen Mittagssonne, riet der Hauptmann vor
der Kathedrale zur Heimkehr, doch Lisette schüttelte den Kopf, wandte sich um
und deutete auf die entstehende Figurengalerie oberhalb der Portale. An der
fleckig gefärbten Tunika erkannte sie ihren Mann. Er arbeitete an einer der
Gestalten und wandte ihr den Rücken zu.
    »Ich möchte wissen, was das für Figuren sind«, sagte sie, »lasst den
Mann herunterkommen!«
    »Ich hole den Baumeister«, bot sich der Hauptmann besorgt an.
    Lisette hob gebieterisch die Hand. »Nein, ich befehle dir, mir
diesen Mann da, jenen in dem blau verwaschenen Hemd vorzuführen.«
    Der Hauptmann rief den Baumeister zu sich, den Einzigen, der zur
Königin sprechen durfte. Der setzte mit der Erklärung an, die Figurenreihe
werde nach Fertigstellung achtundzwanzig Könige von Juda zeigen.
    »Wieso nicht die von Frankreich?«, fragte Lisette scharf. »Und wo
sind die Königinnen?«
    »Es handelt sich gewissermaßen auch um die Könige von Frankreich …«
    »Der Mann da oben soll mir selbst erklären, woran er gerade
arbeitet!«, rief Lisette mit einer Stimme, die eine Spur zu bissig ausfiel.
Etwas sanfter setzte sie hinzu: »Schafft

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