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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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ihn mir her!«
    Welche Gefahr sollte ein Steinmetz schon für die Königin darstellen, überlegte der Hauptmann; ein Bildhauer
war in weitestem Sinn ja auch ein Baumeister. Er bedeutete ihm
herunterzukommen.
    Lisettes Mann stieg nach unten und verharrte in tiefer Verneigung
vor der Königin, die seine schmerzlich entbehrte Frau war.
    »Sieh mich an!«, forderte sie, wie sie es gelernt hatte. Ein
kleines Zucken erschien in einem ihrer Mundwinkel, als der Mann einen
todtraurigen Blick zu ihr emporhob. »Ich verleihe dir die Ehre, einen neuen
Auftrag für mich auszuführen.«
    Der Hauptmann hob einen Arm und rief damit einen Mann zu sich, der
sich abseits unter die staunende Menge gemischt hatte und dessen Einsatz für
solche Notfälle gedacht war.
    Tief verbeugte sich der Hauptmann vor Lisette.
    »Soeben hat uns die Botschaft ereilt, dass Eure Anwesenheit im
Palast von großem Belang ist«, sagte er, bevor Lisette ihren Auftrag
formulieren konnte.
    Sie hob bedauernd die Augenbrauen, beugte sich vor und klopfte dem
Steinmetz leicht auf die Schulter.
    »Wir sehen uns wieder, Mann«, sagte sie, ehe sie sich abwandte.
    Es dauerte eine Weile, ehe sich Blanka von den
Beschwerlichkeiten der grauenvollen Hinreise erholt hatte. Verwanzte, stinkende
Herbergen, schlechtes Bier, unzureichendes Essen, klapprige Gäule, Männer, die
sie anschnauzten, den Mund zu halten, und – das Allerschlimmste – ein
Dominikaner, der in einer Klostergaststätte versuchte, ihr unter den Rock zu
greifen. Sie hatte seine Hand genommen und kräftig hineingebissen. Der Schrei
des Mannes klang ihr noch in den Ohren. Wie auch die Bemerkung eines nicht fern
von ihr sitzenden Handwerkers, der die vergeblichen Bemühungen des Mönchs
beobachtet hatte: »Nicht du solltest beißen, sondern er; ist er doch ein Hund
des Herrn – ein Domini-canis!«
    Sie hatte getan, als hörte und verstünde sie den Spruch nicht, doch
der Handwerker hatte sich frech auf den Platz des geflüchteten Mönchs gesetzt
und erklärend hinzugefügt: »So nennen wir Textores, liebe Pilgerin, die
frommen Männer, die dem angeblich noch frommeren Mann in Rom die schmutzige
Arbeit abnehmen. Hurer und Fresser, Hunde und Schweine, die ihre riesigen
Einkünfte mit Ehebruch und Völlerei verprassen, die Christi Evangelium vom
Pferd herab verkünden: Inquisitio necesse est. Oh ja!«
    Er schenkte ihr einen verwegenen Blick, sprang von der Bank, riss
eine Fidel von der Wand, spielte ein paar Takte und sang dann: »Kleriker
treten als Hirten auf, sind Betrüger und tun sehr heilig. Wäre ich Ehemann,
führe mir der Schreck in die Knochen, wenn sich ein hosenloser Mann neben meine
Frau setzt, denn unter beiden Röcken ist viel Platz, und das Feuer ist, gut
Fett dazu, schnell entfacht.«
    Es gelang ihr nicht, das Ohr diesem Lied gegenüber zu verschließen.
Zu sehr erschrak sie der Gedanke, dass sie zur Rettung solcher Leute nach Rom unterwegs war. Nein, dieses unbedacht
abgelegte Gelübde, die Ketzer vor Verfolgung zu schützen, wollte und konnte sie
nicht mehr einhalten. Sie sah ja jetzt mit eigenen Augen, wie frevelhaft die
Unseligen auftraten! Der Heilige Vater hatte recht: Diese Menschen mussten
verfolgt werden! Wie nur war ihre Clara in deren Fänge geraten? Aber
Theobald würde sie retten, und sie, Blanka, wollte den Papst jetzt nicht mehr
um Gnade für die Verfolgten bitten, sondern um die Entbindung von ihrem
Gelübde.
    Die Begegnungen mit dem niedrigen Volk waren furchtbar. Unerträglich
die Beschimpfungen dem König gegenüber, dem alle Schuld an jeglicher Not
gegeben wurde. Allabendlich notierte Blanka Mängel im Alltagsleben der
Untertanen, die ihr auffielen, und kam, entsetzt von all der Armut, derer sie
auf ihrer Reise gewahr geworden war, erschöpft und verschmutzt in Rom an.
    Es stand schlimmer um Frankreich, als sie je vermutet hatte. Nach
Ludwigs Rückkehr wollte sie mit ihm einen Plan ausarbeiten, wie den
Notleidenden in ihrem Reich geholfen werden konnte.
    Jetzt wunderte sie sich nicht
mehr über den Erfolg der katharischen Lehre. Wer die Erde als Hölle erfuhr,
konnte sich ja nur auf einen erlösenden Tod freuen; wer glaubte, ihn erwarte
keine Hölle mehr, da er schon in ihr lebe, war mit Androhung von Höllenstrafen
nicht mehr zu packen. Wenn diese Menschen die Welt als die Hölle betrachteten,
konnten nach ihrer Lesung die darin aufgestellten Gesetze nicht von Gott kommen
und deswegen auch keine göttliche Autorität beanspruchen.
    Solches war Blanka nicht nur von

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