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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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anders als seinem großen Vorbild Theobald, die Reime
normalerweise nicht von sich aus zuflogen, war stolz auf sich. Wahrscheinlich
beflügelt mich die Vorstellung, endlich eine Katharerfrau weltlichen Freuden
zuführen zu können, überlegte er. Auch er hatte in Avignon eine Credens
beminnt, aber seine Poesie war an ihr abgetropft wie Wassertropfen an einer
fettigen Ölkanne. Eine bittere Niederlage für den Troubadour.
    »Er hat mich schon einmal heil nach Hause gebracht«, warf Clara ein.
    »Es geht hier nicht nur um dich.«
    Clara sah Felizian fassungslos an. Aus dem einstmals liebevollen
Begleiter war ein Perfectus mit großer Verantwortung geworden, gut, darauf
hatte sie sich eingestellt. Aber Vorhaltungen hatte sie von ihm nicht erwartet.
    »Mach, was du willst!«, erwiderte sie kurz. »Ich werde ihm mit
Etienne entgegengehen.«
    »Reiten«, warf Etienne stolz ein. »Ich habe ein Pferd.«
    Es war einer dieser kurzen Augenblicke, in denen Schicksale geformt
werden. Hätte Felizian an seinem ursprünglichen Plan festgehalten und Clara mit
Etienne ziehen lassen, dann hätte ihr Leben wahrscheinlich einen anderen
Verlauf genommen. Vielleicht hätte sie dann Jahre später jener aufregenden Zeit
gedacht, in der sie Teil einer Gemeinde gewesen war, die das Leben aller
Menschen hatte ändern wollen und dafür auch Widerstand gegen die Herrschenden
leistete. Mit Wehmut hätte sie sich ihrer großen Liebe Felizian erinnert, die
Pflichten ihres eigenen Haushalts erledigt und mit einem gewissen Schaudern bedacht, wie knapp sie noch einmal davongekommen
war. Aber Felizians Entscheidung, sie mit den zahlreichen Katharern aus
Carcassonne zu begleiten, bis sie auf Theobald trafen, ließ aus einer solchen
Zukunft nichts werden.
    Schon am zweiten Tag sichteten sie die Schar der Männer des Grafen
von Champagne. Fröhlich wandte sich Clara zu Felizian um, der hinter ihr ging.
    »Ich kenne das Banner!«, rief sie. »Jetzt wird endlich alles
gut!«
    »Lauf, Clara, lauf!«
    Das waren Felizians letzte Worte. Clara hatte auf das Banner
geachtet, er auf die Männer, die Armbrüste in Anschlag brachten und Lanzen
erhoben. Graf Theobald mochte das Kreuzfahrergewand abgelegt haben, seine
Vorhut aber sah nur eine schwarz gewandete unverkennbare Schar, die sie im
Namen Gottes zur Strecke zu bringen hatte. Theobalds Kreuzritter, die so lange
Monate darauf gewartet hatten, ihren Auftrag endlich zu erfüllen, hielten diese
Zielscheiben für gottgesandt. Da sie keinen Geistlichen mit sich führten und
die Zeit zum Bau so vieler Scheiterhaufen zu knapp war, hielten sie es für
geboten, die vom Heiligen Vater verdammten Ketzer augenblicklich in die Hölle zu
schicken, anstatt sie einzufangen und der Gerichtsbarkeit zu übergeben. Nur das
konnte Gottes Wille sein, nur deswegen hatte er ihnen die Ketzer
entgegengesandt.
    Im Pfeilhagel der Ritter aus der Champagne starb die katharische
Bevölkerung von Carcassonne, die sich ihrem neuen Perfectus anvertraut hatte.
Der einzige Reiter, ein junger Mann mit dunklem Borstenhaar, fiel tödlich
verwundet von seinem Pferd.
    Clara überlebte nur, weil sich Felizian über sie geworfen hatte,
bevor ihn unzählige Pfeile durchbohrten. Erstarrt unter dieser letzten
Berührung vernahm sie nicht einmal den Entsetzensschrei Theobalds, der seiner
Vorhut hinterhergesprengt war.
    Lisette begann zu zittern, nachdem sich die Tür hinter dem
Hauptmann geschlossen hatte und sie im Halbdunkel des karg eingerichteten
Gemachs Königin Ingeborg allein gegenüberstand.
    »Du möchtest also einen Auftrag erteilen«, stellte Ingeborg kalt
fest.
    Heftig mit dem Kopf schüttelnd, warf sich Lisette Ingeborg zu Füßen.
    »Ich wollte doch nur meinen Mann wiedersehen«, schluchzte sie. Ihre
Worte waren fast nicht zu verstehen, da sie in die Beugen der fest
zusammengepressten Unterarme hineingesprochen waren. Lisettes Finger krallten
sich in den verrutschten Seidenstoff auf ihrem Hinterkopf. Die auf dem
Holzboden lang ausgestreckte zitternde Gestalt im Königinnengewand bot einen
erbärmlichen Anblick.
    »Gnade, Gnade …«
    »Steh auf, Magd«, versetzte Ingeborg scharf. »Und lüge mich nicht
an. Deinen Mann magst du schon lange nicht mehr.«
    Schwankend erhob sich Lisette und starrte die alte Königin mit vor
Angst aufgerissenen Augen an. Die bebenden Lippen brachten kein Wort mehr
hervor.
    »Dein Mann, der Steinmetz, soll ein Abbild von dir für die
Figurengalerie der Könige erschaffen?«, fragte Ingeborg ungläubig,

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