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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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vorausging. Diesen aber unter
dem Grölen schaulustiger Massen und höhnischer Blicke auf dem Feuerstapel
freiwillig zu erwählen erschien ihr ein unvorstellbares Opfer.
    »Lasset uns beten«, schlug der Bischof vor und sprach laut die Worte
aus dem Zweiten Brief des Johannes: »Liebt die Welt nicht und nicht das,
was in der Welt ist. Wenn einer die Welt liebt, so ist nicht des Vaters Liebe
in ihm; denn alles in der Welt, des Fleisches Lust und der Augen Lust und des
Lebens Prahlen, das stammt nicht her vom Vater, sondern stammt von der Welt.
Und die Welt vergeht und ihre Lust. Doch wer den Willen Gottes wirkt, der
bleibt in Ewigkeit. Amen.«
    Dann hob Isarn den Kopf und wandte sich wieder an Felizian.
    »Du, mein Freund, hilfst den Brüdern und Schwestern bei der
Ausreise.«
    Leise widersprach dieser: »Wie sollte ich das tun können? Ich
bin kein Perfectus.«
    Er blickte zu Clara, doch diese hielt die Lider gesenkt. Sie wusste,
was kommen würde. Die vergangenen Monate mit Felizian hatten sie darauf
vorbereitet. Sie durfte Felizians sehnlichstem Wunsch nicht mehr im Wege
stehen. Und sie wollte es auch nicht.
    Clara hatte sich verändert. Sie hatte gelernt, dass es fern der
Geschlechtlichkeit und natürlich noch ferner der höfischen Liebe Wege gab, mit
einem anderen Menschen zu verschmelzen. Das Band zwischen ihr und Felizian war
am Rosenfenster der großen Pariser Kathedrale vom Himmel geschmiedet worden und
würde weit über das kurze Erdendasein hinaus halten. Einer war zum Engel des
anderen geworden.
    Und doch fühlte sie den Teufel in sich, der sie auch in diesem
Augenblick in Versuchung führte: Tu es erst morgen, flehte sie Felizian still
an, dann werden wir in dieser Nacht endlich auch körperlich zueinander kommen
können, und ich werde den Rest meines Lebens von dieser Begegnung zehren.
Schenke mir diese eine Nacht, mein Geliebter! Nur eine Nacht! Bitte!
    Zaghaft hob sie die Lider und begegnete Felizians Blick. Seine Liebe
zu ihr war für jeden im Saal darin zu lesen.
    »Clara?«
    Sie riss sich zusammen und zwang sich zu einem vernünftigen
Gedanken. Wird mir diese Nacht endlich die ersehnte Erfüllung bringen, werde
ich sie – und ihn – auf immer festhalten wollen. Und das führt unweigerlich in
eine Katastrophe. Für ihn und für mich. Und möglicherweise auch noch für andere
gute Menschen. Wird diese Nacht aber eine Enttäuschung …
    Sie hielt die Luft an und starrte auf die dicke Fliege, die laut
brummend vor ihren Augen Kreise zog. Verschwommene Bilder von einer anderen
Nacht stiegen in ihr auf. Sie sah sich wieder im Palast zu Reims. In einer
kleinen Kammer. Spürte fast den Männerleib,
der sie in Besitz genommen hatte, brutal in sie eingedrungen war und
nichts außer Körpersäften und Benommenheit in ihr hinterlassen hatte. Ein
Geruch von Schwefel …
    Heftig schlug sie nach der Fliege. Klatschte die Hände zusammen. Nahm sie sofort wieder entsetzt auseinander
und starrte auf die sauberen Handflächen. Atmete tief aus, als das nun
heftiger brummende Insekt weiterflog und sich am Fenster niederließ. Gott sei
Dank. Es war ihr entkommen. Und sie hatte den Teufel verjagt.
    Mit zitternden Knien erhob sie sich von der Bank und trat auf den
Vicomte zu.
    »Wir sollten die beiden jetzt allein lassen«, schlug sie leise vor
und reichte ihm mit einer in dieser Lage seltsam anmutenden höfischen Gebärde
den Arm.
    »Einen Augenblick, bitte. Entschuldigung.«
    Bevor der Burgherr Claras dargebotenen Arm ergreifen konnte, trat
Felizian auf sie zu, umarmte sie inniglich, drückte ihr vor den Augen der
beiden Männer einen festen Kuss auf die Lippen und blickte ihr lange in die
Augen.
    »Das ist erst der Anfang, Clara«, flüsterte er ihr zu, bevor er sie
wieder losließ. »Im Himmelreich harret die Ewigkeit unser.«
    Lächelnd wandte er sich an den Bischof: »Jetzt bin ich bereit.«
    Clara taumelte und suchte an der Banklehne Halt. Dann atmete sie
tief aus. Von jetzt an würde Felizian sie nie mehr berühren dürfen.
    Der Vicomte nahm behutsam ihren Arm und verließ mit ihr den Saal.
Vor der Tür bat sie ihn, sie allein zu lassen, und ließ sich auf einer in die
Wand gehauenen Bank nieder.
    »Ich werde die Aufzeichnungen des Bischofs in Sicherheit bringen
lassen«, bemerkte der Vicomte mit belegter Stimme. Er verneigte sich vor Clara
und ging durch den Bogengang davon. Seine Schritte hallten noch lange nach.
    Durch die nur angelehnte schwere Eichenholztür vernahm Clara die
sonore Stimme des Mannes, der

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