Die Kathedrale der Ketzerin
deutlich erkennbaren Häretikern
mitgeteilt worden, sondern vor allem von Menschen, die ganz normaler Arbeit
nachgingen, von einfachen Untertanen, schlichten Wegbegleitern, die der
bescheiden gekleideten Pilgerin gegenüber unbekümmert ihre Herzen
erleichterten.
Das musste der Heilige Vater wissen! Gleich ihr lebte er in einem
Palast mitten in der Stadt, doch fern dem wirklichen Geschehen dieser
armseligen schwer beladenen Menschen, die ihnen von Gott anvertraut waren. Sie
musste mit ihm reden!
Eine nie gekannte Einsamkeit bemächtigte sich Blankas, als sie an
diesem Septemberabend zu ihren angemieteten Räumen zurückkehrte. Ihre Mission
war gescheitert. Sie hatte sich völlig unnötig Gefahren ausgesetzt, ihre Kinder
allein gelassen, ihre Pflichten als Königin vernachlässigt und war das Risiko
eingegangen, Lisette für längere Zeit in den Palast zu holen. Wie auch Königin
Ingeborg, die dafür sorgen sollte, dass der angeblichen Königin keine Fehler
unterliefen.
Ingeborg hatte ihr von der Reise nicht abgeraten, sondern sie im
Gegenteil auf ihre seltsame Art ermutigt: »Du wirst dort nicht erreichen, was
du willst, aber dafür etwas finden, das deinem ganzen Leben Halt und neuen Sinn
geben kann.«
Der erste Teil der Prophezeiung war eingetroffen; jetzt galt es
höchstens noch, nach dem zweiten Ausschau zu halten.
Etwas verstimmt blickte sie auf eine Menschengruppe, die ihr den
Treppenaufgang zu ihrer Villa versperrte.
»Was wollt Ihr hier?«, fragte sie.
»Er hat einmal in diesem Haus genächtigt!«, klagte eine
Frauenstimme. »Und jetzt wird er sterben! Ach, welch ein Jammer, dass uns der
Herr auch die Besten der Besten nehmen muss!«
»Von wem spricht sie?«, fragte Blanka in die Menge.
»Von unserem Francesco, dem großen Franz von Assisi!«, kam eine
vielstimmige Antwort.
»Er ist jetzt in seine Heimat zurückgebracht worden, um dort zu
sterben.«
Blanka rief einen Mann ihres kleinen Gefolges zu sich.
»Wir reisen ab«, flüsterte sie ihm zu.
Der Mann nickte erleichtert. Er hatte genug am Grab des heiligen
Petrus gebetet. »Dann sind wir in spätestens sechs Wochen zu Hause«, seufzte er
erleichtert.
Blanka schüttelte den Kopf.
»Zunächst reisen wir nach Assisi.«
Zum ersten Mal kam es zwischen Clara und Felizian zu einer
Unstimmigkeit. Er bestand darauf, mit der großen Gruppe der Katharer aus
Carcassonne augenblicklich die Route nach Toulouse einzuschlagen. Clara aber
wünschte, die entgegengesetzte Richtung zu nehmen und Theobald
entgegenzuziehen.
»Er wird uns schützen!«, rief sie.
»Ein Kreuzritter!«
»Er hat das Kreuz abgelegt«, warf Etienne ein.
»Ich habe Verantwortung für viele Menschen, Clara …«
»… die unbewaffnet sind und sich nicht wehren können«, gab sie
zurück. »Du weißt doch, wie viele marodierende Banden jetzt durch das Land
streifen. Theobald ist mein Freund. Mit seinem großen Gefolge kann er uns alle
sicher zu meinem Bruder nach Toulouse geleiten. Und wie wir gerade gehört
haben, sitzt das Heer des Königs immer noch in Avignon fest; also brauchen wir
nicht zu befürchten, von Kreuzrittern angegriffen zu werden.«
Voller Unbehagen fuhr sich der okzitanische Sänger durch das dunkle
Borstenhaar. Er hatte Clara gefunden, und da wäre es doch zu dumm, wenn sie ihm
wieder entwischte.
»Frau Clara, Graf Theobalds ganzes Trachten zielte einzig darauf ab,
Euch das Leben zu retten«, meldete er sich wieder zu Wort. »Ihr wohnt ständig
in seinem Herzen. Er war wie von Sinnen, als er von Euch sprach, sein Herz hat
vor Angst und Sehnsucht gebebt. Nur darum hat er sich vom König losgesagt.«
»Ist das wahr?« Clara starrte den kleinen Troubadour fassungslos
an. Der nickte beglückt. Wenn es um Liebe ging, fühlte er sich wieder in seinem
Element. Zumal sein Freund Theobald von dieser Frau gänzlich besessen zu sein
schien. Durchaus verständlich, angesichts ihrer Erscheinung, die sogar in der
schlichten dunklen Katharertracht überaus edel wirkte. Gerade in diesen bösen
Zeiten von Kriegen, Belagerungen, Hungersnöten und Verfolgung erschien es
Etienne von höchster Bedeutung, der Liebe wieder das Wort zu erteilen. Das
Verehren schöner Frauen verscheuchte üble Gedanken, erfreute die Herzen und gab
der Einbildungskraft wieder Raum, sich in höhere Sphären zu schwingen.
»Keine Perlen gleichen diesen Worten, die Euch höchst gepriesen«,
sang der Troubadour und fügte an: »Durchs ganze Land das Werben schallt des
edlen Grafen Theobald!«
Etienne, dem,
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