Die Kathedrale des Meeres
Herrin, dass ich sie sprechen möchte.«
Als der alte Diener das Fensterchen schloss, fasste Guillem Mar um die Taille und hob sie hoch. Lachend ließ sich Mar herumwirbeln. Dann stellte Guillem sie wieder auf den Boden, fasste sie bei den Händen und schob sie ein Stückchen von sich weg, um sie zu betrachten.
»Mein kleines Mädchen«, sagte er mit brüchiger Stimme. »Wie oft habe ich davon geträumt, dich so herumzuwirbeln. Aber mittlerweile bist du viel schwerer. Du bist eine Frau geworden …«
Mar machte sich los und schmiegte sich an ihn.
»Warum hast du mich im Stich gelassen?«, fragte sie schluchzend.
»Ich war nur ein Sklave, meine Kleine. Was konnte ein einfacher Sklave schon tun?«
»Du warst wie ein Vater für mich.«
»Und jetzt nicht mehr?«
»Du wirst es immer sein.«
Mar umarmte Guillem innig. »Du wirst es immer sein«, dachte der Maure. »Wie viel Zeit habe ich in der Ferne vergeudet?« Er sah zu dem Fensterchen.
»Doña Elionor will auch Euch nicht sehen«, war von innen zu hören.
»Sag ihr, dass sie von mir hören wird.«
Die Soldaten brachten ihn ins Verlies zurück. Während der Kerkermeister ihn wieder ankettete, sah Arnau unverwandt zu der Gestalt hinüber, die am anderen Ende des düsteren Raumes auf dem Boden kauerte. Er blieb auch noch stehen, als der Wärter den Kerker verließ.
»Was hast du mit Aledis zu tun?«, rief er der alten Frau zu, als die Schritte draußen im Gang verhallten. »Was wollte sie hier? Warum besucht sie dich?«
Die Antwort bestand in Schweigen. Arnau erinnerte sich an jene riesigen, braunen Augen.
»Was haben Aledis und Mar miteinander zu tun?«, bat er die Gestalt.
Arnau versuchte zumindest den Atem der Alten zu hören, doch von überall übertönte Keuchen und Röcheln das Schweigen, mit dem Francesca ihm antwortete. Arnau sah an den Wänden des Verlieses entlang. Niemand schenkte ihm die geringste Beachtung.
Als der Gastwirt Mar in Begleitung eines vornehm gekleideten Mauren hereinkommen sah, hörte er auf, in dem großen Topf zu rühren, der über dem Feuer hing. Seine Nervosität stieg, als hinter ihnen zwei Sklaven erschienen, die Guillems Gepäck schleppten. Weshalb hatte er sich nicht im Handelshof einquartiert wie die anderen Händler?, überlegte der Wirt, während er zu ihm ging, um ihn zu begrüßen.
»Es ist eine Ehre für dieses Haus«, sagte er und machte eine übertriebene Verbeugung.
Guillem wartete, bis der Wirt mit seiner Lobhudelei am Ende war.
»Können wir bei dir unterkommen?«
»Ja. Die Sklaven können im Stall …«
»Wir sind zu dritt«, unterbrach Guillem ihn. »Zwei Zimmer. Eins für mich und eins für sie.«
Der Wirt sah die beiden Jungen mit den großen dunklen Augen und dem krausen Haar an, die stumm hinter ihrem Herrn warteten.
»Ganz wie Ihr wünscht«, antwortete er. »Folgt mir.«
»Sie werden sich um alles kümmern. Bringt uns ein wenig Wasser.«
Guillem führte Mar zu einem der Tische. Sie waren alleine im Schankraum.
»Heute hat der Prozess begonnen, sagst du?«
»Ja, aber genau weiß ich es nicht. Eigentlich weiß ich gar nichts. Ich konnte ihn nicht einmal sehen.«
Guillem merkte, wie Mars Stimme versagte. Er streckte die Hand aus, um sie zu trösten, doch dann ließ er sie wieder sinken. Sie war kein Kind mehr, und er … letztendlich war er nur ein Maure. Niemand sollte auf falsche Gedanken kommen. Vor Elionors Palast war er schon zu weit gegangen. Mars Hand kam näher und legte sich auf die seine.
»Ich bin noch dieselbe. Für dich werde ich immer dieselbe sein.«
Guillem lächelte.
»Und dein Mann?«
»Er ist gestorben.«
Mars Gesicht ließ keinen Kummer erkennen. Guillem wechselte das Thema.
»Wurde etwas für Arnau unternommen?«
Mar verzog den Mund, ihre Augen verengten sich.
»Wie meinst du das? Wir konnten nichts tun …«
»Und Joan? Joan ist Inquisitor. Hast du etwas von ihm gehört? Ist er nicht für Arnau eingetreten?«
»Dieser Pfaffe?« Mar lächelte nur müde und schwieg. Warum sollte sie ihm davon erzählen? Die Sache mit Arnau genügte, und schließlich war Guillem seinetwegen hier. »Nein, er hat nichts unternommen. Schlimmer noch: Er hat den Generalinquisitor gegen sich. Er wohnt hier bei uns.«
»Bei euch?«
»Ja. Ich habe eine Witwe namens Aledis kennengelernt, die mit ihren beiden Töchtern hier wohnt. Sie ist eine Freundin von Arnau aus Kindertagen. Offensichtlich war sie zufällig auf der Durchreise in Barcelona, als er verhaftet wurde. Ich teile das
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