Die Kathedrale des Meeres
diese Situation noch lange ertragen? Francesca presste sich gegen die kalten Steine der Mauer, während Arnau weiter mit dem Schicksal und der Welt haderte.
Die Türen des Gerichtssaals öffneten sich und Arnau wurde hineingezerrt. Das Tribunal war bereits versammelt. Die Soldaten schleiften Arnau in die Mitte des Raumes und ließen ihn los. Arnau sank zu Boden. Er hörte, wie Nicolau in die Stille hineinsprach, doch er war unfähig, seine Worte zu verstehen. Was konnte ihm dieser Mönch noch antun, nachdem ihn sein eigener Bruder bereits verdammt hatte? Er hatte niemanden mehr. Er hatte nichts.
»Du täuschst dich«, hatte ihm der Kerkermeister geantwortet, als er ihm ein kleines Vermögen anbot, um ihn zu bestechen. »Du hast kein Geld mehr.« Geld! Geld war der Grund dafür gewesen, dass der König ihn mit Elionor verheiratet hatte. Geld steckte hinter dem Verhalten seiner Ehefrau, die seine Festnahme in die Wege geleitet hatte. Sollte Geld Joan dazu bewogen haben …?
»Bringt die Mutter herein!«
Angesichts dieses Befehls war Arnau auf einmal hellwach.
Mar und Aledis standen auf der Plaza Nova, gegenüber dem Bischofspalast. Joan hielt sich ein wenig abseits. »Infant Don Juan wird heute Nachmittag meinen Herrn empfangen«, hatte ihnen einer von Guillems Sklaven tags zuvor mitgeteilt. Heute Morgen in aller Frühe war derselbe Sklave zu ihnen gekommen, um ihnen von seinem Herrn auszurichten, dass sie auf der Plaza Nova warten sollten.
Und da standen die drei nun und spekulierten darüber, warum Guillem ihnen diese Botschaft geschickt hatte.
Arnau hörte, wie hinter ihm die Tür geöffnet wurde. Die Soldaten kamen herein und stellten jemanden neben ihn, dann nahmen sie wieder ihren Posten an der Tür ein.
Er spürte ihre Gegenwart. Er sah ihre nackten, runzligen Füße. Sie waren schmutzig und schwielig, und sie bluteten. Nicolau und der Bischof lächelten, als sie sahen, wie Arnau die Füße seiner Mutter anstarrte. Dann hob er den Kopf und sah zu ihr auf. Obwohl er kniete, überragte ihn die alte Frau um höchstens eine Spanne, so gebeugt war sie. Die Tage im Kerker waren nicht spurlos an Francesca vorübergegangen. Ihr schütteres graues Haar stand wirr in die Höhe. Sie hatte den Blick starr auf das Tribunal gerichtet, die Haut war pergamenten und eingefallen. Ihre Augen lagen tief in violett verfärbten Höhlen.
»Francesca Esteve«, sagte Nicolau, »schwörst du auf die vier Evangelien?«
Die feste Stimme der Greisin überraschte alle Anwesenden.
»Ich schwöre«, antwortete sie, »doch Ihr sitzt einem Irrtum auf. Ich heiße nicht Francesca Esteve.«
»Wie dann?«, fragte Nicolau.
»Mein Name ist Francesca, doch nicht Esteve, sondern Ribes. Francesca Ribes«, sagte sie laut und vernehmlich.
»Müssen wir dich an deinen Eid erinnern?«, mahnte der Bischof.
»Nein. Wegen dieses Eids sage ich die Wahrheit. Mein Name ist Francesca Ribes.«
»Bist du nicht die Tochter von Pere und Francesca Esteve?«, fragte Nicolau.
»Ich habe meine Eltern nie kennengelernt.«
»Warst du die Ehefrau von Bernat Estanyol aus Navarcles?«
Arnau richtete sich auf. Bernat Estanyol?
»Nein. Ich bin nie an diesem Ort gewesen und ich war auch nicht verheiratet.«
»Hattest du keinen Sohn namens Arnau Estanyol?«
»Nein. Ich kenne keinen Arnau Estanyol.«
Arnau sah Francesca an.
Nicolau Eimeric und Berenguer d'Erill flüsterten miteinander. Dann wandte sich der Inquisitor an den Schreiber.
»Hör genau hin«, forderte er Francesca auf.
»Aussage von Jaume de Bellera, Herr von Navarcles«, begann der Schreiber zu lesen.
Arnaus Augen verengten sich, als er den Namen Bellera hörte. Sein Vater hatte ihm von ihm erzählt. Neugierig hörte er die Geschichte seines Lebens an, die sein Vater zum großen Teil mit in den Tod genommen hatte. Wie seine Mutter auf die Burg bestellt worden war, um den neugeborenen Sohn Llorenç de Belleras zu stillen. Eine Hexe? Aus dem Mund des Schreibers hörte er Jaume de Belleras Version über die Flucht seiner Mutter, nachdem dieser noch als Säugling die ersten Anfälle von Fallsucht erlitten hatte.
»Bernat Estanyol«, fuhr der Schreiber fort, »nutzte einen unaufmerksamen Moment der Wachen, um seinen Sohn Arnau zu befreien, nachdem er zuvor einen unschuldigen Jungen ermordet hatte. Die beiden ließen ihr Land im Stich und flohen nach Barcelona. In der gräflichen Stadt angekommen, fanden sie Unterschlupf bei der Familie des Händlers Grau Puig. Der Zeuge hat Beweise dafür, dass
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