Die Kathedrale des Meeres
neben der Kirche Santa María del Mar.
Nachdem sich Ribera de la Mar zu einem wohlhabenden Viertel gemausert hatte, wurde die alte romanische Kirche, in der die Fischer und Seeleute ihre Schutzpatronin verehrten, zu klein und zu ärmlich für die aufstrebenden und reichen Gläubigen. Doch die finanziellen Zuwendungen der Barceloneser Kirche und des Königs flossen ausschließlich in den Wiederaufbau der Kathedrale der Stadt.
Die Gläubigen von Santa María del Mar, Reich und Arm in ihrer Verehrung der Jungfrau geeint, ließen sich jedoch von der mangelnden Unterstützung nicht entmutigen. Im Gefolge des kürzlich zum Erzdiakon von Santa María del Mar ernannten Bernat Llull erbaten sie von der kirchlichen Obrigkeit die Erlaubnis, ein Bauwerk zu errichten, welches das größte Monument zu Ehren der Jungfrau Maria sein sollte. Und sie bekamen sie.
So wurde mit dem Bau von Santa María del Mar begonnen, errichtet vom Volk für das Volk. Davon kündete der Grundstein des Bauwerks, der genau dort gelegt wurde, wo später der Hauptaltar stehen sollte. Anders als bei Bauwerken, die von der Obrigkeit unterstützt wurden, war in ihn lediglich das Wappen der Pfarrei eingemeißelt als Zeichen dafür, dass dieser Bau mit all seinen Rechten einzig und allein den Gläubigen gehörte, die ihn errichtet hatten – die Reichen mit ihrem Geld, die einfachen Leute mit ihrer Arbeit.
Arnau betrachtete den Mann mit dem Steinquader. Noch immer schwitzend und keuchend, sah er lächelnd zu dem Bau hinüber.
»Kann man sie sehen?«, fragte Arnau.
»Die Jungfrau?«, fragte der Mann zurück, während er nun den Jungen anlächelte.
Und wenn Kinder nicht alleine in die Kirchen durften?, fragte sich Arnau. Was, wenn sie in Begleitung ihrer Eltern sein mussten? Wie hatte der Pfarrer von Sant Jaume noch einmal zu ihnen gesagt?
»Natürlich. Die Jungfrau wird sich freuen, Besuch von solchen Jungs wie euch zu bekommen.«
Arnau lachte nervös. Dann sah er Joanet an.
»Gehen wir?«, fragte er.
»He! Einen Moment!«, sagte der Mann zu ihnen. »Ich muss wieder an die Arbeit.« Er sah zu den Steinmetzen hinüber, die den Steinquader bearbeiteten. »Angel!«, rief er einem etwa zwölfjährigen Knaben zu, der rasch zu ihnen gelaufen kam. »Begleite diese beiden Jungs in die Kirche! Sag dem Pfarrer, dass sie die Jungfrau sehen möchten!«
Dann verschwand der Mann in Richtung Meer. Arnau und Joanet blieben mit Angel zurück, aber als der Junge sie anschaute, blickten beide zu Boden.
»Ihr wollt die Jungfrau sehen?«
Seine Stimme klang ehrlich. Arnau nickte und fragte: »Kennst du sie?«
»Na klar«, lachte Angel. »Sie ist die Schutzpatronin des Meeres. Mein Vater ist Seemann«, setzte er stolz hinzu. »Kommt.«
Die beiden folgten ihm zum Eingang der Kirche, Joanet mit weit aufgerissenen Augen, Arnau mit gesenktem Kopf.
»Hast du eine Mutter?«, fragte er plötzlich.
»Ja, natürlich«, antwortete Angel, während er weiter vor ihnen herging.
Sie traten durch das Portal von Santa María. Arnau und Joanet blieben stehen, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Es roch nach Wachs und Weihrauch. Arnau verglich die hohen, schlanken Säulen, die draußen standen, mit denen im Inneren der Kirche. Diese waren niedrig, dick und viereckig. Das einzige Licht kam durch ein paar schmale, längliche Fenster im dicken Mauerwerk und warf hier und dort gelbliche Rechtecke auf den Boden. An der Decke, an den Wänden, überall hingen und standen Schiffe, die einen sorgfältig gearbeitet, andere etwas grober geschnitzt.
»Kommt weiter«, raunte Angel ihnen zu.
Während sie zum Altar gingen, deutete Joanet auf einige Gestalten, die auf dem Fußboden knieten. Sie hatten sie nicht sofort bemerkt. Als sie an ihnen vorüberkamen, staunten die Jungen über die gemurmelten Gebete.
»Was tun sie da?«, flüsterte Joanet Arnau ins Ohr.
»Sie beten«, antwortete dieser.
Wenn Guiamona mit seinen Cousins aus der Kirche zurückgekommen war, hatte sie ihn immer in seinem Schlafzimmer vor einem Kreuz niederknien lassen und ihn zum Beten angehalten.
Als sie schließlich vor dem Altar standen, kam ein schlanker Priester auf sie zu. Joanet versteckte sich hinter Arnau.
»Was führt dich hierher, Angel?«, fragte der Mann mit leiser Stimme, sah dabei jedoch die beiden Jungen an.
Der Priester hielt Angel seine Hand hin und dieser kniete nieder.
»Diese beiden Jungen, Pater. Sie möchten die Jungfrau sehen.«
Die Augen des Priesters glänzten im Dunkeln,
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