Die Katze im Taubenschlag
Jennifer, wenn du dem Mörder nicht zum Opfer fallen willst.«
»Ich? Warum sollte jemand ein Interesse daran haben, mich zu ermorden?«, fragte Jennifer verblüfft.
»Weil du irgendwie in den Fall verwickelt bist«, erklärte Julia. »Wir müssen nächsten Sonntag versuchen, deine Mutter auszuhorchen, Jennifer. Vielleicht hat ihr jemand in Ramat Geheimpapiere übergeben…«
»Was für Geheimpapiere?«
»Ach, woher soll ich das wissen«, entgegnete Julia ungeduldig. »Geheimpläne, oder eine Formel für neue Kernwaffen. Es gibt tausend Möglichkeiten.«
Jennifer schüttelte den Kopf.
Miss Vansittart und Miss Chadwick saßen zusammen im Wohnzimmer, als Miss Rowan hereinkam und fragte:
»Wo ist Shanda? Ich kann sie nirgends finden. Der Wagen des Emirs ist eben angekommen, um sie abzuholen.«
Chaddy blickte erstaunt auf.
»Das muss ein Irrtum sein. Der Wagen des Emirs hat Shanda bereits vor einer Dreiviertelstunde hier abgeholt. Ich habe sie selbst einsteigen und abfahren sehen.«
Eleanor Vansittart zuckte die Achseln.
»Wahrscheinlich sind versehentlich zwei Autos bestellt worden«, meinte sie.
Sie ging hinaus und sprach mit dem Chauffeur.
»Ich verstehe das nicht«, sagte der Fahrer. »Man hat mir gesagt, ich soll die junge Dame aus Meadowbank abholen und nach London bringen.«
»Dann muss es sich um ein Missverständnis handeln«, erklärte Miss Vansittart.
»Schon möglich«, erwiderte der Fahrer. »In unserer Firma hat sich bestimmt niemand geirrt, aber bei diesen orientalischen Herren, die mit einem ganzen Stab von Leuten reisen, werden manchmal Anweisungen doppelt gegeben. So wird’s wohl gewesen sein.«
Mit diesen Worten wendete er den großen Wagen geschickt und fuhr davon.
Miss Vansittart sah ihm einen Augenblick unsicher nach, dann kam sie zum Schluss, dass kein Grund zur Besorgnis vorlag, und sie begann, sich auf einen friedlichen Nachmittag zu freuen.
Nach dem Mittagessen schrieben die wenigen zurückgebliebenen Schülerinnen Briefe, gingen im Garten spazieren, spielten Tennis oder schwammen.
Miss Vansittart setzte sich unter die Schatten spendende Zeder, um Briefe zu schreiben. Miss Chadwick blieb im Haus, und als um halb fünf das Telefon läutete, ging sie an den Apparat.
»Meadowbank?«, fragte eine kultivierte junge Männerstimme. »Kann ich bitte mit Miss Bulstrode sprechen?«
»Miss Bulstrode ist nicht da. Hier spricht Miss Chadwick.«
»Ich rufe im Auftrag von Emir Ibrahim aus dem ›Claridge‹ an. Es handelt sich um seine Nichte…«
»Um Shanda?«
»Ja. Der Emir ist erstaunt und ärgerlich, weil man ihm nicht Bescheid gesagt hat.«
»Bescheid? Worüber?«
»Dass seine Nichte nicht kommen kann.«
»Was soll das heißen? Ist Shanda noch nicht angekommen?«
»Nein, aber wenn ich Sie richtig verstehe, hat sie Meadowbank verlassen.«
»Allerdings. Das Auto hat sie um halb zwölf hier abgeholt.«
»Das verstehe ich nicht. Dann müsste sie doch längst hier sein…«
»Hoffentlich hatte sie keinen Unfall«, sagte Miss Chadwick besorgt.
»Man sollte nicht immer gleich an das Schlimmste denken«, erwiderte der junge Mann beruhigend. »Wir oder Sie wären längst benachrichtigt worden, wenn sie einen Unfall gehabt hätte. Machen Sie sich keine Sorgen.«
Aber Miss Chadwick machte sich Sorgen.
»Ich kann das einfach nicht verstehen«, sagte sie.
»Wäre es möglich…«
Der junge Mann zögerte.
»Ja?«, fragte Miss Chadwick.
»Ich habe nicht die Absicht, es dem Emir gegenüber zu erwähnen, aber halten Sie es – im Vertrauen gesagt – für möglich, dass ein junger Mann dahinter steckt?«
»Das ist völlig ausgeschlossen«, erwiderte Miss Chadwick würdevoll.
Aber war es wirklich ausgeschlossen? Was wusste man schon von den jungen Mädchen?
Sie legte den Hörer auf und begab sich, fast widerwillig, auf die Suche nach Miss Vansittart. Es war nicht anzunehmen, dass Miss Vansittart die Lage besser beurteilen konnte als sie, aber Miss Chadwick hielt es für ihre Pflicht, sie um Rat zu fragen.
»Das zweite Auto…«, sagte Miss Vansittart.
Sie sahen sich wortlos an. Schließlich fragte Chaddy zögernd: »Müssten wir nicht die Polizei verständigen?«
»Nein, bestimmt nicht die Polizei«, erwiderte Miss Vansittart verstört.
»Shanda fürchtete, dass jemand sie entführen wollte«, entgegnete Chaddy.
»Entführung? Unsinn!«, erwiderte Miss Vansittart scharf. »Miss Bulstrode hat mir für die Zeit ihrer Abwesenheit die Verantwortung für die Schule übertragen.
Weitere Kostenlose Bücher