Die Katze namens Eisbär
Spiel, aber das klappt nur die ersten paar Male. Wenn möglich, schnappen Sie ihn sich genau in dem Moment, wo er um Hilfe schreit. Packen Sie ihn beim Schlafittchen, so daß er das Maul nicht mehr schließen kann, stopfen Sie ihm die Tablette hinein, klappen Sie ihm das Maul zu und streichen Sie mit der Hand seinen Hals abwärts… Wenn Sie mehr als eine Katze haben, ist es wahrscheinlich das beste, Sie lassen die anderen bei der Operation nicht zusehen. Ich fürchte, sie würden lachen, und das wäre für die Katze, die Sie gerade verarzten, sehr peinlich.«
Und der einfachste Rat, den ich von einer meiner Leserinnen erhielt: »Unser Tierarzt füllt eine Spritze mit Vitaminsaft und nimmt dann vor Shaddow selbst etwas davon, ehe er es ihm einflößt.« Sie schrieb nicht, ob ihr Tierarzt Shaddow Tabletten auf die gleiche Weise verabreichte, aber sie ließ es durchblicken.
Viele Briefe machten mich auf andere Fehler aufmerksam, die ich im ersten Jahr meines Zusammenlebens mit Eisbär begangen hatte – in jenem einen Jahr, das das Buch umfaßt. Ein Brief jedoch übertraf alle anderen; er begnügte sich nicht mit der Bemängelung nur eines Fehlers, sondern zählte eine ganze Litanei von Fehlern auf, die ich mir geleistet hatte. Und er war von einer promovierten Soziologin geschrieben.
»Ich habe Ihr Buch gelesen und muß Ihnen sagen, daß es Ihnen in einem einzigen kurzen Band gelungen ist, sämtliche bekannten Katzentabus zu verletzen. Sie haben Eisbär in eine Situation kultureller Anarchie hineingezwungen, die ihn an den Rand eines Nervenzusammenbruchs getrieben haben muß. Die meisten Menschen wissen nicht, daß die Kultur der Katzen auf den Stolz gründet. Sie ist von strengen Tabus, zum Beispiel in bezug auf den Blickkontakt mit anderen Tieren, und von Regeln bestimmt, die den Status nach Alter, Geschlecht, Profil, Haarlänge, Farbe und Musterung definieren. Die soziale Struktur ist mit der der Navajos insoweit identisch, als sie matriarchal ist und von äußerst strengen Tabus geregelt wird.
Auf der Jagd wird die Beute immer von der Leitkatze, die weiblichen Geschlechts ist, gestellt. Erst danach nehmen die anderen Katzen teil; würden sie sich vorher in die Jagd einmischen, so würden sie den gesamten Ablauf durcheinanderbringen. Als Sie Eisbär dazu animieren wollten, das Wollknäuel zu holen, verdrängten Sie ihn aus seiner Führerrolle, und er machte ganz natürlich einen Rückzieher und ließ, durch Ihren krassen Mangel an Sensibilität dazu gezwungen, Sie sein Werk vollenden. In Zukunft sollten Sie abwarten und bewundernd zusehen, während er das Knäuel jagt und stellt, und sich erst dann annähern.
Weiter: Als Eisbär Kamikaze, das Kätzchen, das Sie aufgenommen hatten, Ihrer Ansicht nach nicht freundlich genug empfing, störten Sie ihn mit Ihrem Versuch, ihn zur ›Höflichkeit‹ zu zwingen, 1. in seinem Rollenverhalten gegenüber einem jüngeren, weiblichen Tier anderer Färbung, das verlangt, daß das erwachsene Tier passiv und langmütig, aber würdevoll bleibt, bis die andere Katze sich so weit beruhigt hat, daß man anfangen kann, sie zu erziehen; 2. verstießen Sie gegen das strengste Tabu in der Katzenwelt, als Sie Eisbär zwangen, Ihnen in die Augen zu sehen, während Sie ihm Vorhaltungen machten. Das Feindseligste überhaupt, was eine Katze tun kann, ist, einem anderen Tier in die Augen zu sehen. Sie zwangen Eisbär nicht nur, dem Kätzchen gegenüber aus der Rolle zu fallen, sondern auch noch dazu, mit seinem besten Freund Blickkontakt aufzunehmen, obwohl er doch nur den grundlegenden Normen der Katzenwelt gehorchen wollte. Sie sollten sich schämen!«
Als ich diesen Brief gelesen hatte, fand ich, er rieche förmlich nach feministischer Voreingenommenheit gegen alles Männliche – die »matriarchalen Navajos«, »die Leitkatze, die weiblichen Geschlechts ist«, »das Rollenverhalten gegenüber einem jüngeren, weiblichen Tier« und der ganze andere Quark. Immerhin hatte ich insofern Glück, als der Brief an einem Tag eintraf, an dem Eisbär geschäftlich abwesend war. Er hatte nämlich drüben im anderen Zimmer Männergeschäfte zu erledigen – die Bemannung der Barrikaden zum Kampf gegen Rosa, die Zugehfrau, und ihre abscheulichste Waffe, den Staubsauger. Ich war wirklich froh, daß er meine Reaktion auf diesen Brief nicht mitbekam – ich glaube, ich hätte seine Genugtuung darüber nicht ausgehalten.
Aber nun entwarf ich einen Plan, um diese Soziologin in die Schranken zu weisen,
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