Die Katze namens Eisbär
ein. Keine zwei Minuten später erklärte die Pausenaufsicht unser Spiel für beendet.
Da ich der Teamkapitän unserer Mannschaft war, oblag es mir zu protestieren. Sofort waren Brookie und ich von Nonnen umgeben, Brookie bellte, während ich versuchte, den Sachverhalt aus meiner Sicht zu erklären, aber noch ehe ich meine Argumente vorbringen konnte, landeten wir alle zusammen im Rektorat bei Miß Pitts, nur Brookie durfte nicht hinein.
Miß Pitts glaubte unbesehen alles, was die Mutter Oberin und die Nonnen ihr erzählten, und mir glaubte sie nicht ein einziges Wort.
Ich war zehn, als das alles passierte, und die Lehre, die ich für mich daraus zog, war, daß es Zeiten gibt, wo Gerechtigkeit nicht zu erwarten ist. Aber die Hinrichtung im Traum war der reine Unsinn. In Wirklichkeit fiel meine Strafe ganz anders aus. Ich mußte jeden Tag vor der Pause zu Miß Pitts ins Rektorat, wo sie mir dann ein Taschentuch vor den Mund band, das ich die ganze Pause nicht herunternehmen durfte. So ging das bis Weihnachten.
Aber die Augen wurden mir kein einziges Mal verbunden. Und so schlimm fand ich den verbundenen Mund gar nicht mehr, nachdem ich mich einmal daran gewöhnt hatte. Ich hatte zwar etwas Mühe, meiner Mannschaft ihre Befehle zu geben, aber sie hatten schnell begriffen, daß sie einfach ein bißchen näher herankommen mußten. Mir paßte das besonders gut, wenn meine Mitspieler Mädchen waren. Als Ausrede erzählte ich allen, ich hätte einen sehr empfindlichen Mund und müßte ihn vor Kälte schützen. Ich erzählte das nicht, weil ich Mitleid haben oder als Held gelten wollte. Ich erzählte es, weil ich nicht bereit war, mich von Miß Pitts und diesen Nonnen niedermachen zu lassen.
Beim Erwachen hatte ich das Gefühl, daß ich irgend etwas von meinen Augen oder meinem Mund wegschob, ich weiß nicht mehr genau. Wie dem auch sei, ich schaute mich um und sah, daß Eisbär immer noch an der Tür kratzte. Eine Zeitlang blieb ich ruhig liegen und fragte mich, wie lange er das schon tat – ich hatte gehört, daß man innerhalb von Sekunden unheimlich viel träumen kann. Das war wenigstens ein Trost. Es hätte mich geärgert, wenn ich einen Haufen Zeit an einen so unsinnigen Traum verschwendet hätte.
Dann kam Marian herein und erzählte aufgeregt, daß die Besitzerin des Schäferhundes gefunden sei. Marian hatte unter anderem beim Notdienst des Tierschutz-Fonds angerufen, und dort hatte wenig später die Besitzerin des Schäferhundes den Verlust ihres Hundes gemeldet. Marian hatte sie zurückgerufen, und die Frau hatte versprochen, sofort zu kommen und ihren Hund abzuholen.
Marian erbot sich, bei Eisbär zu bleiben, bis der Hund abgeholt war. Ich solle inzwischen hinübergehen, meinte sie, und mich von dem Hund verabschieden. Ich war einverstanden, nur leider klappte es nicht ganz so, wie uns die Sache vorschwebte. Kaum öffnete ich nämlich die Tür, um hinauszugehen, da schoß Eisbär wie der Blitz davon, und weg war er. Ich rannte ihm nach, aber ich wußte, daß er den Hund lange vor mir erreichen und es zu einem weiteren Nahkampf kommen würde, bei dem ich diesmal nicht würde eingreifen können.
Erstaunlicherweise geschah nichts dergleichen. Als der Hund Eisbär kommen sah, hob er nur spielerisch eine tapsige Pfote. Daraufhin zog Eisbär verdutzt die Bremse an und kam schlitternd zum Stehen. Der Hund seufzte einmal tief und rollte sich wieder zusammen. Eisbär musterte ihn mit einem kurzen, zornigen Blick, dann stieß auch er einen Seufzer aus – er sollte wahrscheinlich Resignation ausdrücken, enthielt aber viel mehr –, drehte sich um, ließ sich mit dem Rücken an den Bauch des Hundes sinken und schloß zu meiner ungläubigen Verwunderung die Augen. Einen Moment später war auch er eingeschlafen.
Lange Zeit stand ich da und beobachtete die beiden. Dann legte ich mich leise bei ihnen nieder und begann vorsichtig, um sie nicht zu wecken, beide zugleich zu streicheln. Ich dachte an die herrlichen Zeiten mit Brookie und war gerührt, daß Eisbär sich überwunden und mit diesem Hund Freundschaft geschlossen hatte. Ich nahm mir fest vor, mir eines Tages wieder einen Hund wie Brookie und eine Katze wie Eisbär anzuschaffen. Aber ich würde sie zu gleicher Zeit zu mir nehmen, so daß sie zusammen aufwachsen konnten.
Während ich sie beobachtete, sah ich, daß sie beide träumten. Die Pfoten des Hundes zuckten genau wie die von Eisbär. Ich wünschte ihnen süße Träume.
4. Astrologie für die Katz
Nach
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