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Die Katzen von Ulthar

Die Katzen von Ulthar

Titel: Die Katzen von Ulthar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.P. Lovecraft
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mystische Alleen, die eine Flucht aus dem Leben zu versprechen schienen. Erst bei näherem Hinsehen bemerkte er die verhungerte Schönheit und Phantasie, die stumpfe und prosaische Abgedroschenheit, den eulenhaften Ernst und die geradezu grotesken Ansprüche, die alleinige Wahrheit zu besitzen, die verdrießlich und überwältigend unter den meisten seiner Verkünder herrschten; und erst bei näherem Hinsehen empfand er die völlige Abgeschmacktheit des Versuchs, die überkommenen Ängste und Mutmaßungen eines frühen Menschengeschlechts, das dem Unbekannten gegenübertrat, als buchstäbliche Tatsache weiter lebendig zu halten. Die feierlichen Bemühungen der Leute, alte Mythen, die ihre hochgerühmte Wissenschaft tagtäglich widerlegte, zu irdischer Realität zu machen, quälten Carter, und diese unangebrachte Ernsthaftigkeit tötete die Zuneigung, die er für die alten Konfessionen vielleicht bewahrt haben würde, hätten sie sich damit zufriedengegeben, die sonoren Riten und Gefühlsergießungen in ihrem wahren Gewand der ätherischen Phantasie anzubieten.

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    Doch als er sich mit jenen beschäftigte, die die alten Mythen abgeworfen hatten, da fand er sie noch häßlicher als jene, die es nicht getan hatten. Sie wußten nicht, daß Schönheit von Harmonie abhängt und daß in einem zwecklosen Kosmos die Lieblichkeit des Lebens keinen anderen Pfeiler besitzt, als die Harmonie mit den voraufgegangenen Träumen und Gefühlen, die unsere kleinen Sphären blind aus dem übrigen Chaos schufen. Sie erkannten nicht, daß Gut und Böse, Schönheit und Häßlichkeit nur Zierfrüchte der Perspektive sind, deren einziger Wert in ihrer Verbindung zu dem besteht, was der Zufall unsere Väter denken und fühlen ließ, und deren feinere Einzelheiten von Rasse zu Rasse und Kultur zu Kultur verschieden sind. Stattdessen bestritten sie diese Dinge entweder restlos oder übertrugen sie auf die kruden, vagen Instinkte, die sie mit den Tieren und Bauern teilten; so daß sich ihr Dasein in Schmerz, Häßlichkeit und Unförmigkeit stinkend dahinschleppte, sie aber dennoch der lächerliche Stolz erfüllte, etwas entkommen zu sein, was nicht ungesünder war, als das, was sie noch immer gefangenhielt. Sie hatten die falschen Götter der Furcht und blinden Frömmigkeit mit denen der Zügellosigkeit und Anarchie vertauscht.
    Carter kostete von diesen modernen Freiheiten nur zaghaft, denn ihre Wohlfeilheit und ihr Unflat ekelten einen Geist, der allein das Schöne liebte, während sein Verstand gegen die fadenscheinige Logik rebellierte, durch die ihre Verfechter die niederen Triebe mit einer Heiligkeit zu vergolden suchten, die sieden, von ihnen außer Dienst gestellten Idolen geraubt hatten. Er sah, daß die meisten von ihnen dem Trugschluß, das Leben besäße außer dem Sinn, den die Menschen hineinträumen, noch einen anderen, nicht zu entgehen vermochten; und auch den kruden Begriff einer über die Schönheit hinausgehenden Ethik und Verpflichtung nicht ablegen konnten, obwohl doch die gesamte Natur ihre Unbewußtheit und impersonelle Unsittlichkeit im Licht ihrer wissenschaftlichen Entdeckungen geradezu herauskreischte. Durch vorgefaßte Illusionen über Gerechtigkeit, Freiheit und Beständigkeit entartet und bigott geworden, warfen sie mit dem alten Glauben gleichfalls die alten Lehren und Gebräuche fort; ohne auch nur eine Sekunde zu bedenken, daß eben diese Lehren und Gebräuche die alleinigen Schöpfer ihrer gegenwärtigen Gedanken und Urteile waren sowie die einzigen Richtlinien und Maßstäbe in einem sinnlosen Universum ohne bestimmte Ziele oder feste Bezugspunkte.
    Nachdem sie dieses künstlichen Hintergrundes verlustig gegangen waren, verlief ihr Dasein orientierungslos und ohne dramatisches Interesse; und schließlich bemühten sie sich, ihren ennui in Betriebsamkeit und angeblicher Nützlichkeit, Lärm und Erregung, barbarischer Schaustellung und animalischen Empfindungen zu ertränken. Als diese Dinge ihren Reiz einbüßten, enttäuschten oder aus Überdruß langweilig wurden, kultivierten sie Ironie und Bitterkeit, und spürten Fehler in der sozialen Ordnung auf. Es wurde ihnen nie bewußt, daß ihre rohen Fundamente ebenso schwankend und widersprüchlich waren, wie die Götter ihrer Vorfahren, und daß die Befriedigung eines Augenblicks das Gift des nächsten ist. Ruhige, beständige Schönheit gewährt nur der Traum, und diesen Trost hatte die Welt weggeworfen, als sie in ihrer Anbetung des Realen die Geheimnisse der

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