Die Kaufmannstochter von Lübeck
abgeschossen, die in die Dächer einschlugen. Die Dachstühle mehrerer Gebäude der Festung standen in hellen Flammen. Und während alle schwer damit beschäftigt waren, den Brand zu löschen und dafür genug Wasser aus den Brunnen im Festungshof heranzuschaffen, kam es zu einem weiteren Angriff, der sich diesmal gegen das Haupttor richtete. Mit einem Rammbock setzten die Angreifer dem Tor schwer zu, ehe sie sich schließlich unter schweren Verlusten zurückziehen mussten.
Der Brand konnte erst Tage später wirklich gelöscht werden, und das vor allem, weil ein heftiges Unwetter einsetzte, dem ein mehrere Tage anhaltender Dauerregen folgte.
Die Kämpfe hatten daraufhin zunächst ein vorläufiges Ende. Als das Wetter besser wurde, wurden wieder täglich Steinbrocken auf die äußeren Festungsmauern geschleudert. Hier und da wurden Zinnen zerstört und Stücke aus den Mauern förmlich herausgehauen, allerdings ohne dass es wirklich irgendwo einen Durchbruch gegeben hätte.
Und dann begann das Warten von Neuem. Tagelang geschah nichts. Das Leben in der Festung normalisierte sich beinahe, sah man einmal davon ab, dass es nachts in der Kirche, in den Türmen und auch der großen Festhalle des Palas noch voller wurde. Viele Stadtbewohner, die in den nun abgebrannten Häusern einquartiert gewesen waren, mussten jetzt anderswo unterkommen.
Eines Nachts traf Johanna die rothaarige Hübschlerin, mit der sie sich im Kerker unterhalten hatte, in der Kirche wieder, wo sie sich wie alle anderen auch einen Platz zum Schlafen suchte. Die Rothaarige erkannte Johanna wieder und blickte dann kurz zu Frederik hinüber. »Ein Gutes hat die Belagerung«, sagte sie dann. »Hier können uns die Männer nicht weglaufen, und niemand denkt daran, uns aus der Festung zu werfen.«
Sie hält mich noch immer für eine von ihnen, wurde es Johanna klar. Und wahrscheinlich ist es sinnlos, das richtigstellen zu wollen.
»Wir werden hier sicher noch eine ganze Weile eingeschlossen sein«, sagte Johanna und versuchte, dabei so viele Wörter aus der Sprache des Nordens zu benutzen, wie sie inzwischen aufgeschnappt hatte. Frederik hatte ihr einiges beigebracht, und da sie damit rechnen musste, länger hierzubleiben, hatte sie beschlossen, so reden zu lernen wie die Einheimischen. Es konnte zumindest nicht schaden.
Die Rothaarige sah Johanna erstaunt an. »Du lernst schnell«, stellte sie in ihrer eigenen Sprache fest, und Johanna verstand sie. »Eigentlich hätte ich dir empfohlen, dich stärker anzumalen und mehr herauszuputzen«, fügte sie dann noch hinzu und sah abermals kurz zu Frederik hinüber, bevor sie schließlich fortfuhr: »Aber vielleicht lass’ ich das lieber. Wie man sieht, bekommst du ja anscheinend auch so genug Aufmerksamkeit.«
In diesem Moment erzitterte das Kirchengemäuer. Schreie des Entsetzens gellten durch das hohe Gewölbe. Grauer Staub rieselte herab. Und dann hörte es sich an, als würde es Steine regnen.
Vor Angst knieten viele der hier Untergekommenen nieder und begannen zu beten. Johanna tat dies auch.
Frederik nahm sie bei den Schultern, hob sie empor und stellte sie wieder auf ihre Füße.
»Komm, lass uns dieses Gemäuer verlassen, ehe es einstürzt!«
»Aber …«
»Oder willst du erst warten, bis wir unter einem Haufen Steinen und Schutt begraben sind?«
Johanna löste sich von dem Anblick der rothaarigen Hübschlerin, die ebenfalls auf die Knie gefallen war und zu beten begonnen hatte.
An der Tür drängten sich bereits etliche Männer, Frauen und Kinder, die ins Freie wollten, weil sie ebenfalls damit rechneten, dass die Kirche jeden Moment einstürzte.
Als sie schließlich ins Freie gelangt waren, atmeten Johanna und Frederik auf. Eine große Menschenmenge hatte sich um die Kirche herum gebildet. Darunter waren sowohl jene, die aus dem Inneren in panischer Angst ins Freie gestürmt waren, als auch Schaulustige, Neugierige und um Angehörige besorgte Helsingborger, die aus anderen Teilen der Festung herbeigeeilt waren. Livrierte Söldner, deren Kleidung in den Farben des Festungsvogtes gehalten war, mischten sich mit notdürftig bewaffneten Handwerkern, Kaufleuten und Fischern aus dem ungeschützten Teil der Stadt.
»Was ist passiert?«, fragte Frederik einen der Söldner.
Dieser blickte mit einem sehr skeptischen Gesicht hinauf zum Dach. Er hatte seinen Helm ein Stück in den Nacken geschoben und stützte sich auf seine Hellebarde, während er zunächst nur stumm und fassungslos den Kopf
Weitere Kostenlose Bücher