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Die Keltennadel

Die Keltennadel

Titel: Die Keltennadel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Dunne
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Vorfall mit Heaven’s Gate sie beeindruckt hätte, nicht weil sie mit den Überzeugungen der Leute übereinstimmen würde, sondern weil sie sich ihrer Sache so sicher gewesen seien.
    Sie sagte: ›Wir beide, Jane, sind praktisch ohne Glauben aufgewachsen – irische Protestanten, die selten zur Messe gingen und nur eine vage Vorstellung von ihren vorgeblichen Überzeugungen hatten, die Sorte Leute, die religiöse Inbrunst peinlich fanden. Mir reichte das nicht mehr. Ich brauchte noch etwas anderes in diesem Leben, und jetzt habe ich es gefunden.‹ Was genau sie gefunden hatte, wurde mir nicht recht klar, aber sie sagte, das kommende Jahr sei von großer Bedeutung. Gewisse Ereignisse würden geschehen, und sie müsste vorbereitet sein. Irland würde bei diesen Entwicklungen eine entscheidende Rolle spielen. Ich wollte mehr über die Leute erfahren, mit denen sie zu tun hatte, vor allem über ihren Freund – falls man ihn so bezeichnen konnte –, aber in dieser Beziehung war sie zurückhaltend bis zur Heimlichtuerei. Sie wiederholte nur ständig, dass unser Leben wenig bedeutet, solange wir keinem höheren Zweck dienen. Wir begannen zu streiten. Ich sagte, sie würde einer Gehirnwäsche unterzogen und ihre Persönlichkeit habe sich verändert, ich würde mir außerdem Sorgen um ihre Gesundheit machen. An diesem Punkt wurde sie sehr arrogant. Sie meinte, ich könne die Daseinsebene, die sie erreicht habe, nicht verstehen, sie habe die Welt der Wünsche und Begierden verlassen, sowohl physisch als gefühlsmäßig, und ich versuchte nur, sie wieder in diese Welt hineinzuziehen. Sie erklärte mir, ich gehörte zu einer Vergangenheit, die sie glücklich hinter sich gelassen habe. Ich muss gestehen, ich war gekränkt, sodass ich ihr nahe legte, sie solle einfach wieder abreisen – was sie noch in derselben Nacht tat. Seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört oder gesehen, aber neulich habe ich entdeckt, dass sie sich mit einer Organisation eingelassen hat, die sich die ›Hüter des Siebten Siegels‹ nennt. Sie sind – oder waren – in den Vereinigten Staaten beheimatet, aber das ist so ziemlich alles, was ich weiß.«
    Während ihres Gesprächs war es langsam dunkel im Raum geworden, und das knisternde Kaminfeuer begann die schwankenden Schatten der beiden an Wände und Decke zu werfen. Janes Stimme hatte eine nicht definierbare Eigenschaft, die in Lavelle den Wunsch weckte, sie möge fortfahren, sodass er nicht selbst reden musste, sondern sich aufs Zuhören beschränken konnte. Aber sie wartete darauf, dass er Stellung nahm.
    »Ehrlich gesagt, Jane, habe ich mich in den Staaten hauptsächlich mit Bewegungen beschäftigt, die in hohem Maße organisiert waren, über Tausende von Anhängern und üppige Geldmittel verfügten und von streng disziplinierten Leuten nach außen vertreten wurden. Was sie alle verbindet, ist ein gewisses Maß an Kontrolle über das Denken der Leute, die sie anwerben, Gehirnwäsche, wenn man so will. Diese Menschen stellen irgendwann fest, dass sie eingesperrt sind, abgeschnitten von Freunden und Familie, sie stiften ihr Einkommen der Organisation und so weiter. Es gibt natürlich einen gewissen Graubereich, weil viele dieser Anhänger Erwachsene sind, die behaupten können, sie hätten eine freie Wahl getroffen – nur ist es so, dass diejenigen, die es schaffen, den Klauen einer Sekte zu entrinnen, durch ihre Erfahrungen stark traumatisiert sind und meistens bezeugen, sie seien als Mitglieder einem großen psychischen Druck ausgesetzt gewesen.«
    »Und worin genau bestand Ihre Arbeit?«
    »Ich war in Chicago stationiert, dort gibt es ein Zentrum namens Cultwatch, das eine Datenbank über die Organisationen unterhält – worum es ihnen geht, wo ihr Sitz ist und so weiter. Es soll hauptsächlich Eltern und anderen Verwandten helfen, vermisste Söhne oder Töchter ausfindig zu machen. Gelegentlich kam auch jemand, der vor einer Gruppe auf der Flucht war und den wir dann beim Ausstieg beraten haben.«
    »Was bringt Menschen dazu, sich diesen Sekten anzuschließen? Oder welche zu gründen?«
    »Normalerweise steht eine gewisse Entfremdung von der Gesellschaft am Anfang. Der amerikanische Soziologe J. Milton Yinger hat vor mehr als dreißig Jahren eine klassische Definition von drei Persönlichkeitstypen formuliert, die wir in Sekten oder Kultgemeinschaften finden. Er nannte sie den Propheten, den Asketen und den Mystiker. Grob gesagt, strebt der Prophet nach Macht in der Welt, der er sich

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