Die Keltennadel
sie saßen auf hohen Stühlen an der halbrunden Theke. Er bestellte einen heißen Whiskey und suchte sich eine Ecke in der Nähe des offenen Feuers.
Er rieb die kalten Hände aneinander, und als der Whiskey kam, wölbte er sie um das Glas. Zur Zeit hatte er ständig Probleme mit Heizungen. Das Heizöl für sein Haus war ihm zu Beginn des Jahres ausgegangen, und er würde erst Ende Februar Geld für eine neue Lieferung haben. Und obendrein spielte die Heizung in seinem Auto verrückt, entweder briet sie die Insassen, oder sie ließ sie erfrieren.
Er drehte sich um und sah aus dem Fenster; draußen schneite es leicht. Als er den Kopf wieder wandte, sah er Jane von der Hotelhalle her eintreten, aber sie bemerkte ihn nicht in seiner Kaminecke und ging an der Theke vorbei zu einer Nische am anderen Ende der Bar. Er stand auf, und als sie ihn entdeckte, lächelte sie. In ihrem Pelzmantel und der Mütze mit den Schneeflocken darauf erinnerte sie ihn an Julie Christie in Doktor Schiwago , ein Video, das seine Schwester Mary immer zu Weihnachten hervorgeholt hatte, wenn er die Familie besuchte. Jane nahm ihre Mütze ab, setzte sich und schüttelte ihre kupferfarbenen Locken. Dann klopfte sie die letzten noch nicht geschmolzenen Flocken von der Mütze und öffnete den Mantel. Sie trug einen schwarzen, mittellangen Rock und eine plissierte Leinenbluse mit hohem Kragen und einer Kamee in der Mitte.
»Sie sind sehr hübsch angezogen«, sagte er mutig.
»Das ist mein Suffragetten-Aufzug«, sagte sie und machte ein gespielt strenges Gesicht. »Kein Make-up, wie Sie bemerken werden. Sie haben es hier nicht mit einer frivolen Dame zu tun.«
»Sie würden in der Baker Street Nummer zehn bestimmt Eindruck machen«, neckte er. »Was die Jungs im Polizeirevier von Lucan angeht, bin ich mir allerdings nicht so sicher. Wie auch immer – möchten Sie einen Drink? Einen, der zu einer Dame passt, natürlich.«
»Man sollte nicht nach starken alkoholischen Getränken riechen, wenn man den Hütern des Gesetzes gegenübertritt, würde ich meinen. Angesichts des unbarmherzigen Wetters könnte ich mich jedoch zu einem heißen Port überreden lassen.«
Er lächelte und ging zur Theke.
Sie beobachtete, wie er höflich wartete, bis der Barkeeper eine Unterhaltung mit einem anderen Gast beendet hatte, bevor er bestellte.
Dann plauderte er mit einem der Männer an der Bar, bis der Drink kam. Er schien mit sich und der Welt im reinen zu sein, seine Körpersprache war offen, gewandt, und als er dem Mann etwas erklärte, setzte er die Hände ein, um seine Ansicht zu unterstreichen.
Feingliedrige Hände, aber auch kräftig und ausdrucksvoll. Lavelle sah genau in dem Moment zu Jane hinüber, in dem sie sich dem Gemälde über dem Kamin zuwandte. Sie ist sehr attraktiv, dachte er. Ich muss auf mich aufpassen. Nichts sagen, was ich bereuen könnte. Das Gespräch neutral halten.
»Der Earl of Lucan«, sagte er, als er zurückkam und den Drink auf den Tisch stellte. »Das war Sarsfields Titel. Hat 1690 in der Schlacht am Boyne gegen Wilhelm von Oranien gekämpft und wurde später durch eine Laune des Schicksals in den Niederlanden getötet.«
»Ein schreckliches Gemälde«, sagte Jane trocken. »Die Sorte Schinken, die der Freund meiner Mutter kauft und verkauft. Oder vielmehr kauft und dann nicht loswird.«
Er bemerkte, dass Jane ebenfalls die Hände um das Glas wölbte, bevor sie einen Schluck nahm.
»Habe ich schon erwähnt, dass ich meine Mutter vor ein paar Tagen getroffen habe?«, fragte Jane. »Sie ist hin und wieder sehr lustig, aber sie kann mir auch ganz schön zusetzen.«
»Inwiefern?«
»Sie hat das Talent, zielsicher ein Thema anzusteuern, das mir am Herzen liegt, und herabsetzende, ungehobelte Bemerkungen darüber zu machen.«
»Und was war diesmal ihre Zielscheibe?«
»Na ja, eigentlich Sie.« Sie sah ihn direkt an. Einige Augenblicke lang schwamm er in den grünen Teichen ihrer Augen, und sein Herz klopfte ein wenig schneller.
»Was hat sie… Warum… ?«, stammelte er.
»Ach, nichts. Vergessen Sie es.« Sie sah wieder zu dem Gemälde. »1690, man kann wohl sagen, dass damals das religiöse Schisma Irlands so richtig begann.«
Ein Themenwechsel. Er war erleichtert. Und doch entwickelte sich etwas zwischen ihnen. Und es wurde immer schwerer, darüber hinwegzusehen.
»Allerdings benutzen wir das Wort ›Schisma‹ nicht sehr häufig, hab ich Recht?«, sagte Lavelle.
»Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich über Byzanz
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