Die keltische Schwester
aufgestanden?«
»Weil du das ganze Bett für dich beansprucht hast, Wulf. Sag mal, würde es dir sehr viel ausmachen, die letzten Stunden der Nacht mir mein Bett zu überlassen?«
»Schönheitsschlaf, was? Schon gut, ein Mann weiß, wann er gehen muss!«
5. Faden, 2. Knoten
Die Besprechung am nächsten Tag war eine Quälerei für mich. Ich war unausgeschlafen, hatte Kopfschmerzen, und meine spärlichen Sprachkenntnisse schienen mich vollends verlassen zu haben. Wulf hingegen schien geradezu aufgeblüht zu sein.
Nach dem ausgiebigen und bis in die Nachmittagsstunden hineingehenden Mittagessen nahm er mich beiseite.
»Ist etwas mit dir?«
»Mir fehlt Schlaf, das ist alles. Ich bekomme leider auch nur die Hälfte, ach, was sage ich, allenfalls zehn Prozent von dem mit, was ihr besprecht. Ich komm mir vor wie ein kleines Doofchen.«
»Dann mach Pause. Heute Nachmittag will ich sowieso mit dem Menschen von Gaz de France sprechen. Und für morgen werde ich meine Fühler ein bisschen ausstrecken, was die Stimmung so anbelangt. Du sollst ja sowieso nur einen Eindruck von den Örtlichkeiten gewinnen.«
»Ich bin doch nicht zum Urlaub hier«, protestierte ich.
»Mach keine Wellen, Lindis. Hier, nimm dir die Straßenkarte und schau dir die zukünftige Baustelle an. Ich habe die Grenzen rot eingetragen.«
»Wie komme ich da hin?« Halb war ich schon überredet, ein Spaziergang würde mir vielleicht die graue Watte aus dem Kopf pusten.
»Nimm den Wagen.« Er drückte mir die Schlüssel in die Hand. »Und zieh dir flache Schuhe an, das Gelände ist ziemlich naturbelassen.«
»Witzbold. Flache Schuhe. Mit wie viel Koffern bin ich wohl angereist.«
»Gott, bist du muffig! Mach dich ab. Ich erzähle dir heute Abend, was sich so entwickelt hat.«
Ich nahm die Straße, die zur Küste führte, und stellte das Auto auf einem sandigen Parkplatz ab, den auch andere Strandbesucher gewählt hatten. Es war warm und sonnig, ein leichter, nach Salz schmeckender Wind strich über meine Haare. Ich zog die Jacke aus und war froh, dass ich eine luftige, kurzärmelige Bluse darunter trug. Meine Schuhe, halboffene braune Slipper, waren vermutlich wirklich nicht die richtige Fußbekleidung, denn ein ausgetretener, sandiger Pfad führte durch Felder, auf denen überdimensionale Disteln wuchsen. Ich wunderte mich etwas über diese Art von Pflanzung, aber wenn das regionale Sitte war, warum nicht? Dann ging das Gelände in flachen Wellen in eine niedrige Wiese über, und ich konnte in der Ferne das Wasser glitzern sehen.
Für die geplante Ferienanlage sicher eine ideale Ecke. Ich nahm mir den Plan noch einmal vor und versuchte mich zu orientieren. Weiter vorne ging rechts eine felsige Landzunge bis weit in das Meer hinein. Auf ihr stand eine kleine Hütte oder ein Häuschen. Das gehörte nicht mehr zu dem eingezeichneten Gebiet. Auch das einsame Feldsteinhaus etwas weiter in den Feldern nicht. Dahinter fing das Naturschutzgebiet an.
Links von mir erstreckte sich weit und eben das Gelände, das demnächst bebaut werden sollte. Mitten darin ragte ein einsamer Felsblock auf, genau an der Stelle, wo später die Cafeteria sein würde.
Mich zog dieser komische Fels irgendwie an, und ich verließ den Pfad, um über die Wiese zu ihm zu gelangen. Ein scharfer Schmerz in meinem Fuß ließ mich ein hässliches Wort fluchen. Als ich mich an dem sonnenwarmen Fels abstützte, um den spitzen Stein aus meinem Schuh zu schütteln, erschreckte mich eine rote Katze, die aus dem Erdboden entsprungen sein musste. Sie schoss wie ein orangefarbener Blitz durch das Grün, gerade auf das graue Feldsteinhaus zu. Trotz des Schmerzes in meinem Fuß musste ich lächeln. Das wäreein hübsches Foto geworden: »Rote Katze im grünen Klee« oder so.
Dann ging ich weiter zum Ufer, setzte mich auf einen flachen Stein und sah zum Sandstrand hinunter. Die Schuhe streifte ich ab und bedauerte, dass ich nicht auch die lästigen Strumpfhosen ausziehen konnte. Ein Streifen hellgelber Sand lag da vor mir, an den mit trägen Zungen die Wellen leckten. Ein paar Kinder spielten dort, gruben tiefe Löcher, in die das Wasser fließen konnte, malten mit Stöcken Bilder in den feuchten Untergrund und sahen zu, wie das Meer sie wieder wegspülte.
Mein Kopf fühlte sich ganz leicht an, die dumpfen Schmerzen waren verflogen. Auch die lähmende Müdigkeit war einer ganz normalen Trägheit gewichen, wie sie Sonne und Wärme verursachen. Ich wackelte mit den Zehen und streckte meinen
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