Die keltische Schwester
Familientermin. Glaub nicht, dass mir das ungeheure Freude macht, aber meine kleine Schwester hat sich doch bei mir eingenistet. Ich kann frühestens am Montag fort.«
»Du bist doch sonst so groß im Termineverschieben. Geht das an der Stelle nicht auch?«
»Spotte du nur, Wulf.«
»Okay, dann Montag bis Donnerstag. Kannst du das Kind so lange alleine lassen?«
»Ich hoffe es.«
9. Faden, 2. Knoten
Beni bekam einen neugierigen Blick, als ich ihr von meiner Reise berichtete.
»So, so, mit deinem Projektleiter fliegst du nach Frankreich. Ist er hübsch?«
»Er ist ein Kollege, Beni!«
Es war ein Versuch, sie von weiteren Fragen abzubringen, aber ein gescheiterter Versuch.
»Das schließt Attraktivität nicht aus. Ist er verheiratet?«
»Warum interessiert dich das?«
»Weil du dieses hübsche schwarze Nachthemdchen gebügelt haben willst.«
»Beni!!«
»Ich darf doch meine Schlüsse ziehen, oder? Wie heißt er denn? Nur falls ich mal ans Telefon gehen muss und seine Frau beruhigen: ›Nein, nein, Ihr Gatte ist nur auf einer kleinen Dienstreise mit meiner jungen, schönen und verführerischen Schwester. Sie brauchen sich nichts dabei zu denken, es ist nur, weil die Firma sparen muss, darum haben die beiden ein gemeinsames Zimmer genommen, in dem nur ein weiches, großes, breites Bett steht …‹ Aua, aua, AUUUU! Nicht schlagen, sonst gehe ich zurück zu meiner Mutter!«
Was sollte ich nur machen? Dieses Mädchen war unmöglich.
»Er heißt Wulf Daniels und ist mir sympathisch. Langt das?«
»Wie sympathisch? Ein Schwager in spe?«
»Mitnichten.«
»Auch noch Nichten, du liebe Zeit. Ging’s nicht ohne Familie?«
»Beni, ich verspreche dir, ich lasse dich am Sonntag bei den Eltern zurück.«
»Oh, bitte, bitte nein, schöne, verführerische ältere Schwester,tu das nicht. Ich bin auch ganz brav und verrate deine Adresse seinen abgelegten Freundinnen nicht.«
Jetzt hatte sie mich angesteckt.
»Bin ich verführerisch?«, fragte ich und schickte ihr einen schmachtenden Blick unter halb gesenkten Lidern.
»Wie ein Pfannkuchen.«
»Was?«
»Ich liebe Pfannkuchen.«
»Du bist ja auch verfressen. Aber unter Pfannkuchen stelle ich mir immer etwas Weiches, Wabbeliges vor. Nicht gerade der Höhepunkt des Verführerischen.«
»Na, ein bisschen weich und wabbelig um die Taille bist du doch«, bemerkte Beni, bevor sie leise die Tür hinter sich schloss. Au weh, das war hart.
Aber gerecht, wenn ich ganz ehrlich sein wollte. Ich nahm diese Bemerkung zum Anlass, einmal kurz und gründlich Inventur zu machen. Zwar besaß ich die Größe und Langbeinigkeit einer Mannequin-Figur, wenn sie etwas straffer gewesen wäre. Weich und wabbelig da und dort eben. Vor einem Jahr, als ich mich wenigstens hin und wieder noch mit Freunden zum Squash-Spielen verabredet hatte, war das noch nicht so gewesen. Damals gab es auch häufiger Salat auf meinem Speisezettel und weniger Schokoladenkekse. Aber, so fragte ich mich, wie sollte ich das bei dem jetzigen Arbeitsaufwand geregelt bekommen. Zehn, zwölf Stunden am Tag war ich in der Firma, abends gab es Französischkurs, und dann musste auch noch der Haushalt und jetzt obendrein Beni versorgt werden.
Außerdem, Wulf schien ich auch so zu gefallen. Also, warum mir noch mehr Stress machen, als sowieso schon da war.
Wir trafen am Samstag bei unseren Eltern ein, und meine Mutter betrachtete mich mit gedämpftem Wohlwollen, denn ich entsprach von Kleidung und Auftreten der erfolgreichen Managerin.Beni hingegen hatte ein mütterliches Donnerwetter zu erwarten.
»Dein Zeugnis ist hier, Bernadine. Vater ist extra zur Schulleitung gegangen, um diesen schändlichen Beweis deiner Faulheit und Unfähigkeit abzuholen. Was hast du dir da nur wieder geleistet?«
Beni nahm mit einem Achselzucken den besagten Beweis entgegen und meinte: »Mehr geht eben nicht. Vielleicht wird’s auf einer anderen Schule besser.«
»Du bist entsetzlich sorglos, Bernadine. Das sind Dokumente für das Leben.«
»Hör auf, Mutter! Und nenn mich nicht ständig Bernadine, das ätzt mich an!«
»Wie drückst du dich nur aus, Kind! Ich möchte, dass in diesem Haus ein gesitteter Ton herrscht.«
»Mutter, lass sie in Ruhe. Ich werde eine gute Schule für sie finden, und wenn nötig, jede zusätzliche Unterstützung in die Wege leiten«, fiel ich meiner Mutter ins Wort, denn Beni zeigte alle Anzeichen, kurz vor einem Ausbruch höchster Muffigkeit zu stehen.
Seltsamerweise fand ich bei meinem Vater eine
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