Die keltische Schwester
mal das Leben. Suchen wir nicht immer irgendwas?«
Die hellen Fältchen um seine Augenwinkel vertieften sich, und ich wurde den Eindruck nicht los, dass er mich auf den Arm nahm. Das führt häufig bei mir zu kurz angebundenen Reaktionen.
»Ich suche gleich das Weite.«
»Nein, Lindis, bleib noch eine Weile. Jetzt hat dich ein zufälliger Wind hierhergeweht, da sollten wir uns noch ein bisschen unterhalten. Ich nehme an, lange ist dein Aufenthalt nicht hier?«
»Nein, morgen Vormittag fliegen wir zurück.«
»Du solltest hier mal zwei, drei Wochen Urlaub machen, es lohnt sich wirklich.«
»Du musst es ja wissen, wenn du schon zwei Monate hier herumlungerst.«
»Ich werde sogar noch weitere zwölf Monate hier herumlungern. Ich habe mir zwei Semester freigenommen, um hier eine Arbeit zu schreiben.«
Mir dämmerte plötzlich etwas. Der verrückte Professor, der für das Museum arbeitete. Sollte das Robert sein?
»Worüber schreibst du?«
»Ich möchte gerne herausfinden, ob meine Theorie stimmt, dass diese Monolithe, die hier überall herumstehen, einen Einfluss auf die gallisch-keltische Kultur hatten.«
»Du könntest auch von chinesischen Wurzelhühnern sprechen. Was sind Monolithe?«
»Der da hinten, mein Haus-Menhir. Oder wenn du es einfacher haben willst, ein Hinkelstein.«
»Oh, faszinierend. Ich muss Asterix noch einmal lesen.«
»Keine schlechte Idee. Das bringt dir zumindest die hiesige Kulturgeschichte etwas näher. Hast du Lust, mein karges Abendessen mit mir zu teilen, oder hast du noch Verabredungen?«
»Nein. Und mir langen diese gigantischen fünfgängigen Menüs. Meine Schwester hat mir letzthin sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie mich für einen Pfannkuchen hält. Ein karges Abendessen mag also genau das Richtige sein.«
»Mh, ja. Du bist etwas dicker geworden. Aber nicht unbedingt weicher!«
Schon wieder fühlte ich mich auf den Arm genommen. Bevor ich etwas erwidern konnte, verschwand Robert im Haus, und von der Wiese her kam der rote Blitz angesprintet.
Ich folgte den beiden in das Haus und fand mich in einem unerwartet gemütlichen Inneren wieder. Ein langgestreckter Raum, die Wände unverputzter Feldstein und dunkle Holzbalken. Ein gemauerter Kamin, groß und vom Gebrauch geschwärzt, ein paar bequeme Ledersessel davor. Über fast die ganze Länge des Zimmers steckte sich ein alter, schwerer Holztisch, an dessen Längsseiten zwei Bänke standen. Der Tisch war beinahe vollständig mit Papieren und Büchern, Nachschlagewerken und Zeitschriften bedeckt. Ein Laptop stand dazwischen. Hier arbeitete der Wissenschaftler, leicht chaotisch und doch organisiert.
»Schieb das Zeug ein Stück zusammen, damit wir die Teller hinstellen können.«
Robert kam mit einem Korb voller knusprigem Weißbrot und einer Platte mit Käse und Tomaten aus der Küche.
»Gläser findest du da in dem Schrank.«
Aus der altmodischen Anrichte nahm ich zwei Weingläser und fand auch Bestecke. Wie selbstverständlich ich diese Handreichungen machte. Wie damals. Käse, Brot und Wein, Roberts Hauptnahrungsmittel.
Ich schob die Schublade zu – sowohl die mit dem Besteck als auch die mit den Erinnerungen.
Wider Erwarten verlief das Essen in harmonischer Stimmung. Das lag aber wohl zum großen Teil daran, dass ich Robert erzählen ließ und wenig von mir selbst beitrug. Es brauchte ihn nicht zu interessieren, dass ich zu den Vertretern des geplanten Ferienparks gehörte, für den er offensichtlich nichts übrighatte, auch wenn er das nicht offen sagte. Meine Vermutung stimmte im Übrigen, er gehörte der Kommission an, die das Freilichtmuseum errichten wollte. Man suchte derzeit nach einem anderen Standort.
Er erzählte mir auch einige Dinge über seine Arbeit, die ihnweit in die Vergangenheit führten, sechs- oder siebentausend Jahre zurück.
Die jüngere Vergangenheit erwähnten wir beide allerdings mit keinem Wort.
Es war bereits dunkel geworden, als ich schließlich an die Rückkehr dachte.
»Soll ich dich zum Parkplatz bringen?«
»Nein, Robert, danke. Mir scheint, für Beleuchtung ist gesorgt.« Ich wies auf den vollen Mond hin. »Der Weg ist nicht weit. Und vor den Geistern aus grauer Vorzeit habe ich keine Angst.«
»Nein? Dann ist ja gut. Pass nur auf, dass du nicht über den Dämon stolperst, der ist jetzt auf Jagd.«
»Das hört sich irgendwie mystisch an. Was jagt dein Dämon? Verlorene Seelen?«
»Mäuse. Vielleicht auch verlorene Seelen. Halte deine fest, wenn du ihm
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