Die keltische Schwester
Rücken. Vielleicht sollte ich mal wieder eine Woche Urlaub machen, die letzten vier, fünf Monate waren recht turbulent gewesen. Aber leider war im Augenblick nicht daran zu denken. Ich blieb noch eine Weile sitzen, bis ich merkte, dass die Kinder allmählich verschwanden und die Schatten länger und länger wurden.
Als ich auf die Uhr sah, war ich erstaunt, dass es schon fast sieben Uhr geworden war. Mühsam zwängte ich meine Füße wieder in die Schuhe und machte mich auf den Rückweg. Dabei war mir der aufrechte Stein eine gute Orientierung.
Dann allerdings hatte ich eine derart unerwartete Begegnung, die mich im ersten Moment völlig durcheinander brachte. Als ich auf dem Pfad vor dem Feldsteinhaus entlangging, öffnete sich die Tür, und ein Mann kam auf mich zu. Groß, breitschultrig und geschmeidig wie eine große Katze, genau wie das rote Tier, das ihn begleitete. Dunkle, lockige Haare, die an den Schläfen schon etwas zurückwichen, ein schmaler Bart um Oberlippe und Kinn. Ausgeblichene Jeans und ein T-Shirt, die kurzen Ärmel aufgerollt, so dass der mächtige Bizeps deutlich zusehen war. Ich wusste es. Ich wusste es, ohne es zu sehen, dass sich um den linken Oberarm eine tätowierte Schlange wand.
Das durfte doch nicht wahr sein!
Eine törichte Hoffnung, dass er mich nicht erkennen würde, machte sein zielstrebiges Näherkommen zunichte. Ich sann auf Flucht, aber meine schmerzenden Füße und die unwürdige Figur, die ich bei einem Galopp über die unebene Wiese machen würde, hielten mich davon ab. Also musste ich mich wohl dem Schicksal stellen.
»Hallo, Lindis!«
Diese verdammte Samtstimme.
»Hallo, Robert. Ich frage dich nicht, was du hier machst.«
»Ich dich auch nicht. Aber ich freue mich, dich zu sehen. Möchtest du auf ein Glas kühlen Cidre hineinkommen?«
Acht Jahre, und unsere letzten Worte, die wir gewechselt hatten, waren schartige, rostige Waffen gewesen, die zackige, schmutzige Wunden hinterließen. Die Samtstimme konnte mühelos Fleisch in Fetzen von den Knochen reißen und einem lebendig die Haut abziehen. Und hier lud er mich mit einem freundlichen Lächeln zu einem Glas Cidre ein. Nein, so durstig ich auch war, so trocken meine Kehle von Sonne und Salzluft, das konnte ich nicht über mich bringen.
»Tut mir leid, ich habe keine Zeit, ich bin geschäftlich hier.«
»Sieht man! Du hast dann ja wirklich die Karriere gemacht, wie du es wolltest. Ich verstehe, da gehört ein Sonnenbrand auf der Nase nur zu den kleinen Opfern.«
»Verspotte mich nur. Ich habe Karriere gemacht und werde noch weitermachen!«
»Wie du gewünscht hast, Lindis. Bleibst du länger hier?«
»Nein.«
»Schade. Ich hatte gehofft, du würdest vielleicht doch noch Zeit finden vorbeizuschauen.«
»Nein. Und jetzt muss ich gehen.«
Aber meine Beine verweigerten den Dienst. Ich blieb stehen und sah Robert an. Er hatte sich nicht viel geändert, sein Gesicht war sonnengebräunt; mag sein, dass die beiden Falten zwischen seinen Augen tiefer geworden waren, die Züge etwas markanter. Er sah so verdammt gut aus wie damals. Und er hatte noch immer diese verdammte Ausstrahlung. Wie hatte Birgit gesagt: Ein Mann eben.
»Du hast dich verändert, Lindis.«
»Acht Jahre halt. Und in weiteren acht Jahren werde ich mich noch mehr verändert haben. Dann kannst du Vergleiche anstellen. Mach’s gut bis dahin!«
Jetzt gehorchten mir meine Beine wieder. Robert sagte, als ich ihm den Rücken zudrehte: »Du weißt, wo du mich findest. Komm vorbei, wenn du Zeit hast.«
Ich stolperte beinahe über diese blöde Katze, und Robert rief: »Dämon, komm.«
»Dämon, was sonst noch?«, knurrte ich vor mich hin und setzte, ohne zurückzublicken, meinen Weg fort.
5. Faden, 3. Knoten
Ich war heilfroh, als ich in meinem Zimmer war. Von Wulf lag eine Mitteilung vor, dass er den Abend mit zwei Bekannten verbringen werde, er hoffe aber, mich später noch zu sehen.
»Das kannst du pfeifen, Wulfi!«, schnaubte ich und sprang unter eine kalte Dusche. Männer im Allgemeinen wie im Besonderen waren mir im Augenblick vollständig zuwider.
Ich besah mich im Spiegel und nahm ein Stückchen Bauch zwischen Daumen und Zeigefinger. Wabbelig! Kein Wunder bei diesen Fressorgien. Schatten hatte ich auch unter den Augen und eine knallrote Nase.
Zum Abendessen tat es eine Crêpe mit Pilzen, die so ungemein köstlich war, dass meine Laune sprunghaft anstieg. Dann telefonierte ich mit Beni und versicherte mich, dass keine Überraschungspartys
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