Die keltische Schwester
gebräunt, und die Fältchen in den Augenwinkeln wirkten wie helle Linien.
»Ebenfalls ein erfolgreiches neues Jahr, Robert. Möchtest du reinkommen?«
»Nein, ich möchte, dass du rauskommst. Es ist ein sagenhaft schöner Tag. Siehst du das nicht?«
»Ehrlich gesagt, nein. Ich sehe nur weiß und kalt.«
»Das ist gut für den Teint. Komm, wir gehen in den Wald. Das ist zwar keine überaus originelle Idee, denn darauf sind offensichtlich schon viele gekommen, aber raus musst du!«
»Na gut, Beni hat mir schon gesagt, dass du darauf bestehen würdest.«
Ich griff nach meinem Wollmantel.
»Doch nicht so einen dünnen Lappen. Es hat minus zwanzig Grad. Hier, zieh das Ding an, das hat wenigstens eine Kapuze.«
»Weißt du, wie toll ich das finde, bevormundet zu werden?«
»Ja, das weiß ich.«
»Ach, hör auf zu grinsen.«
Ich zog auch Benis Stiefel an. Gut, dass wir inzwischen die gleiche Schuhgröße hatten.
»Wir kommt es, dass du hier bist, Robert? Ich dachte, du betreibst wichtige Studien in der Bretagne?«
»Auch ich darf mal Ferien machen. Im Augenblick ist es dort etwas ungemütlich.«
»Nanu, ich denke, die gute Luft ist so bekömmlich? Ist die im Winter irgendwie anders?«
»Die ist noch immer gut, aber das Haus ist nur über offene Kamine zu heizen, und das ist etwas zeitaufwendig.«
Wie auch immer, ich sah vor meinem geistigen Auge Robert beim Holzhacken, allerdings in der Sonne und mit bloßem Oberkörper. Lass das, Lindis!, rief ich mich zurecht.
»Außerdem muss ich hin und wieder herkommen, um so lästigen Stellen wie Finanzämtern und Versicherungen meine Aufwartung zu machen.«
»Und wo wohnst du in der Zeit? Hast du dein Haus hier behalten?«
Er lachte. »Ich wohne bei mir zur Untermiete. Ich habe dasHaus für die Urlaubssemester an zwei Studenten vermietet. Sie verwalten es übrigens erstaunlich gut.«
Es war bitterlich kalt, und meine Hände wurden trotz der Handschuhe langsam zu Eisklumpen. Aber ich beschloss, mir nichts anmerken zu lassen. Wie erwartet war der Wald von Spaziergängern überlaufen, und alle starrten mit ehrfürchtigen Gesichtern auf die weißgepuderten Bäume.
»Du findest das nicht besonders reizvoll, nicht wahr?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Meine Neigung zur ungebändigten Natur ist ziemlich gering.«
»Dein Ideal ist eine überdachte, klimatisierte Badelandschaft mit staubfreien Plastikpalmen und wohltemperiertem Chlorwasser?«
Ich druckste. Zu deutlich war mir der letzte Besuch im Paradiso-Park in Erinnerung.
Robert lachte leise. »Na, na, Zweifel an dem großen Projekt?«
»Woher weißt du von dem Projekt? Und dass ich damit zu tun habe?«
»Erstens, weil es
das
Gesprächsthema in Plouescat ist, und zweitens, welchen Grund hättest du ansonsten gehabt, dort aufzutauchen? Du machst für KoenigConsult die Terminplanung.«
»Sag mal …«
»Léon Callot ist ein gelegentlicher Tennispartner von mir.«
»Ah, ja.«
»Ich hätte dir lieber weismachen sollen, dass ich über geheimnisvolle Kräfte verfüge, um deine krummen Wege zu verfolgen, was, Lindis?«
»So viel Interesse würde mir nur schmeicheln.«
»Eben.«
Ausgetrickst.
»Aber ganz ernsthaft, du findest es auch nicht die berauschendsteFerienlösung, nicht? Deine Reaktion war vorhin recht eindeutig. Warst du überhaupt schon mal in einer solchen Anlage?«
»Ich war mit einer Freundin und ihrer kleinen Tochter in einem solchen Club. Du hast ja recht, ganz mein Stil war es nicht. Andererseits bieten sie gute Möglichkeiten gerade für Familien. Und die Anlagen sind wetterunabhängig.«
»Machst du auch die Werbeprospekte?«
»Du bist ein strikter Gegner unseres Projektes, vermute ich. Wir sollten das Thema besser fallenlassen.«
»Damit wir uns nicht streiten? Oh, wie langweilig, Lindis.«
Warum fühlte ich mich von ihm nur immer und beständig auf den Arm genommen? Aber ich erinnerte mich an meine guten Vorsätze.
»Gut, streiten wir. Deine Argumente?«
»Ich bin nicht ausschließlich gegen euer Projekt eingestellt. Ich finde nur, dass die Menschen sowieso den größten Teil ihres Lebens in künstlicher Umgebung verbringen. Da sollten sie wenigstens im Urlaub versuchen, der Natur so nahe wie möglich zu kommen. Schau, wir lassen uns im Fernsehen und im Kino die grandiosen Landschaften zeigen, den Grand Canyon, die Eiswüsten, das Abendglühen am Matterhorn. Aber einen schlichten schneebedeckten Ast, ganz real und greifbar, dessen Schönheit wissen wir nicht zu würdigen.«
»Ist
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