Die keltische Schwester
der schön?«
»Ist er nicht?«
Robert zog einen Zweig zu mir herunter. Sonnenlicht traf die feinen Schneekristalle und brach sich in allen Farben. Es flimmerte, glitzernder Staub rieselte durch die Luft zum Boden. Unter dem Schnee war der Ast braun und borkig, doch an den Spitzen zeigten sich bereits Verdickungen, Knospen, das Versprechen eines neuen Frühlings. Für diesen Augenblick war es schön.
»Siehst du? Und siehst du das Feld dort? Du hast gesagt, es ist alles weiß und kalt. Aber erkennst du nicht die Farbenpracht in dem Weißen und Kalten?«
Das Feld hatte tiefe, gerade Furchen, die in der niedrigstehenden Sonne schattig wurden. Bläulich schimmerten die Vertiefungen, zogen sich als lange, eisblaue Linien über das ganze Feld. Am Rand standen einige Bäume, ihre Borke leuchtete golden und grün, schwarz wirkte das Geflecht der kahlen Zweige gegen den hellen Himmel, an dem die Federwölkchen bereits rosige Ränder bekamen. Ich fühlte mich verzaubert, je länger ich hinsah. Schließlich zog ich meine Hand aus der Tasche und legte sie an einen Baumstamm neben mir. Eine leise, ganz ferne Stimme flüsterte, eine lang vergessene Erinnerung sagte: »Ich bin!«
»Verstehst du jetzt, Lindis?«
»Vielleicht, ja.«
Robert sah, wie ich meine kalten Hände aneinanderrieb, und meinte: »Gehen wir zurück, sonst wirst du noch zum Eiszapfen.«
Einträchtig schweigend kehrten wir um. Doch in meinen Gedanken rumorte es.
Vor der Tür begegnete uns Beni, die sich eben von Sarah verabschiedete.
»Hallo!«, begrüßte sie uns und musterte Robert neugierig.
»Das ist meine Schwester Beni. Ihr habt heute Vormittag miteinander telefoniert.«
Die beiden sahen sich lange an, ohne ein Wort zu wechseln. Das alarmierte mich. Was würde Beni jetzt wieder aushecken? Und auch Robert war nicht zu trauen.
Aber dann kam etwas völlig Unerwartetes.
»Du solltest Lindis überreden, dich mitzunehmen, wenn sie dieses Jahr kommt. Ihr könnt bei mir wohnen, mein Haus ist groß genug.«
Benis Augen funkelten vor Vergnügen.
»Ich werd’ sie daran erinnern!«
»Ich verlasse mich auf dich, jüngere Schwester.«
Dann sah Robert ihr tief in die Augen und fragte schließlich: »Kann man in ihnen die Mücke im Bernstein erkennen?«
»Das solltest du lieber bei Lindis nachschauen!«
»Oh, dort ist nur ein Dorn.«
»Wer weiß?«
»Mag ja sein, dass ihr beide das erwärmend findet, bei weit unter null Grad in der frischen Luft miteinander zu flirten. Ich friere allerdings und gehe jetzt rein. Möchte jemand mitkommen?«
»Eifersüchtig?«
»Nein.«
»Ich gehe, Lindis. Ich habe noch eine Verabredung. Melde dich mal bei mir. Meine Nummer hast du doch?«
»Ich weiß nicht.«
»Dann frag Beni. Tschüs ihr beiden!«
»Sag mal, Beni, wie lange hast du mit Robert telefoniert? Ihr scheint ja besonders gute Freunde geworden zu sein.«
»Telefoniert haben wir nicht lange miteinander. Aber ich glaube, ich habe einen ganz guten Draht zu ihm.«
»Was war das mit dem Besuch dieses Jahr?«
»Ich weiß nicht genau. Aber er hat bei seinem ersten Anruf gesagt, dass er in der Bretagne wohnt. Und du fährst doch bestimmt noch mal da hin, denke ich.«
11. Faden, 7. Knoten
Ich war richtig stolz auf mich, dass ich das Zusammentreffen mit Robert so ohne große Emotionen hinter mich gebracht hatte. Und über Benis komisches Verhalten befahl ich mir einfach nicht nachzudenken.
Morgen würde mich das Berufsleben wieder in seine Fänge ziehen, da gab es wichtigere Dinge zu erledigen, als über Mücken oder Dornen im Bernsteinauge zu grübeln.
Ich war milde gespannt darauf, ob es den Franzosen gelingen würde, schon im Februar mit den Bauarbeiten für die Ferienhäuser zu beginnen. Selbst wenn Robert mir die Nachteile eines Urlaubs in Plastikfolie deutlich gemacht hatte, mein Job war es noch immer, ein solches Plastik-Paradies zu managen. Damit verdiente ich nun mal meine Brötchen.
Nach dem Abendessen sah ich mir die Nachrichten an, aber da absolut kein sehenswertes Programm zu finden war, schaute ich noch einmal zu Beni ins Zimmer. Sie saß selbstvergessen und versunken an dem Keyboard, das sie zu Weihnachten von mir bekommen hatte, Kopfhörer auf den Ohren, und spielte sich ein Lied vor. Ich musste lächeln. Sogar die Zungenspitze zuckte leicht im Mundwinkel. Mich überkam ein Gefühl großer Liebe für sie, und ich legte ihr meinen Arm um die Schulter. Ohne zu erschrecken, sah sie auf und lehnte ihren Kopf an meinen Bauch. Wir blieben eine
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