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Die keltische Schwester

Die keltische Schwester

Titel: Die keltische Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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brachte.
    Die Sonne stand schon tief, und das grüne Zwielicht warf seltsame Schatten auf das Wasser in dem Felsbecken. Es war ganz still, kein Vogel sang, kein Wind raschelte in den Blättern. Wir setzten uns auf eine der Felsstufen, und ich spürte, wie schon so oft in den vergangenen Tagen, seinen Blick auf mir ruhen. Mein Herz schlug schneller, ich lächelte ihn an und erklärte leise: »Auch hier ist man der Anderen Welt nahe, und in den Stunden der Dämmerung zeigt sich hier manchmal die Herrin der Quelle. Sie ist weise und klug und lässt die heilenden Kräuter wachsen.«
    »Du sprichst oft mir ihr?«
    »Manchmal.«
    »Darum also bist du so weise und so klug und kennst die heilenden Kräuter! Aber sag, bist du nicht einsam? Du lebst allein, ohne Familie. Ist das notwendig für eine Heilerin in eurem Volk?«
    Es war das erste Mal, dass Elcmar mir eine persönliche Frage stellte, und irgendwie drängte es mich plötzlich, sie ihm zu beantworten.
    »Nein, natürlich nicht. Aber meine Familie starb, als ich noch ein Kind war, und Conall nahm mich auf und lehrte mich viele Dinge. Ich bin nicht nur eine Heilerin.«
    »Nein, auch eine Kämpferin, ich weiß. Muss eine Kriegerin alleine leben?«
    »Natürlich nicht. Ich lebe alleine, weil ich es will.« Aber das war eigentlich nicht ganz richtig, und ich überlegte, ob ich mehr sagen sollte. Ganz nahe spürte ich plötzlich die Gegenwart der Herrin der Quelle. Ich sah sie nicht, wie an manchen anderen Tagen, doch ich hörte sie flüstern: »Sag ihm die Wahrheit, Danu, er muss es wissen, damit ihm seine Entscheidung leichter wird.« Wie so oft waren ihre Worte seltsam und nicht gleich verständlich, aber ich hatte mich daran gewöhnt, der Herrin zu folgen, was immer sie mir auch für einen wunderlichen Rat gab.
    Ich begann meine Erklärung mit gesenktem Kopf: »Elcmar, ich habe nur ein gesundes Auge.«
    Er hob meinen Kopf und sah mich an. »Ja, und?«
    Mein Gesicht wurde heiß, und ich zwang mich fortzufahren.
    »Mit dem anderen Auge sehe ich … andere Dinge. Und das macht den meisten Menschen Angst. Auch den jungen Männern.«
    »Ja, das verstehe ich.«
    Erstaunt sah ich ihn an.
    »Als ich ein Knabe war, lebte bei uns noch ein weiser Mann, er war schon unsagbar alt, aber sein Rat wurde von jedem erbeten. Er war auf beiden Augen blind, und doch konnte er sehen. Er spürte, wer zu ihm kam und welche Sorgen ihn beschäftigten, ohne dass er fragen musste. Er wusste um das Walten und Wirken der Götter und ihren Einfluss auf die menschlichen Geschicke. Ich bin ihm nur ein paar Mal begegnet, doch jedes Mal hatte ich das Gefühl, als ob er in mein Herz schauen könnte.« Elcmar schwieg und sah mich wieder an. »Kannst du auch in mein Herz sehen, Danu?«
    Ohne dass ich mich dagegen wehren konnte, schlossen sich meine Augen, und in der Schwärze hinter den Lidern sah ich in sein Herz. Was ich sah, bestürzte mich. Es machte mich sprachlos und verwirrte mich. Aber als er mich an sich zog, mochteich mich nicht wehren. So lehnte ich lange Zeit an seiner Brust, lauschte seinem Herzschlag und dem wundersamen Versprechen von Ewigkeit. Erst als das Dämmerlicht der Dunkelheit zu weichen begann, löste ich mich wieder von ihm.
    »Lass uns gehen, es wird bald Nacht sein«, sagte ich im Aufstehen.
    Das Gesicht in der spiegelnden Scheibe war meines. Es war Nacht, Schnee lag über dem Land. Der Himmel war aufgerissen, und die schmale Sichel des Mondes lag wie eine silberne Schale über den Dächern der Häuser.
    Anders als die Male zuvor war ich diesmal nicht verwirrt nach der Vision. Danus stilles Vertrauen war auch über mich gekommen, und ich fühlte mich ruhig und entspannt.
    Aber ich hätte wissen müssen, dass es die Ruhe vor dem Sturm war!

3. Faden, 3. Knoten
    Am zweiten Januar holte mich der Büroalltag wieder ein. Nicht nur, dass die Fahrt in dem tiefgekühlten Auto durch die Eiswüste der Vorstadt mich erzittern ließ, nein, auch als ich im Sekretariat meine Post holte, traf mich ein arktischer Hauch. Karola hatte auf Dauerfrost geschaltet. Ich war jedoch noch nicht so weit, dass ich daran etwas auftauen wollte. So mied ich ihr Büro und kochte mir meinen Tee selbst.
    Viel hatte sich über die Feiertage nicht getan, eine ganze Reihe Mitarbeiter war noch in Urlaub, darum verlief der erste Tag gemächlich. Nach Mittag war ich mit meiner Ablage fertig und schaute noch einmal vorsichtig um die Ecke ins Sekretariat. Etwas erstaunt sah ich dort eine unbekannte junge Frau am

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