Die keltische Schwester
Weile so, und ich fühlte mich innig mit ihr verbunden.
Schließlich machte ich mich los von ihr, hauchte ihr ein Küsschen auf die glatte Wange und kehrte in mein Wohnzimmer zurück.
Die Jalousien hatte ich noch nicht heruntergelassen, darum sah ich noch einmal in die kalte Welt hinaus. Es hatte wieder angefangen zu schneien, und um die Laternen schwebten schimmernde Flöckchen. Im Glas des schwarzen Fensters sahich mein Spiegelbild – eine Frau mit gelösten Gesichtszügen, jung, verletzlich, sehnsuchtsvoll. So anders als sonst.
Und dann geschah es wieder. Das Bild driftete auseinander, ich sah mich doppelt, ein klein wenig neben mir. Doch diesmal endete der Prozess nicht, sondern setzte sich fort. Ich war eins und wurde zwei. Neben mir stand ich – und doch nicht ich. Neben mir stand Danu. Lächelnd, einen glücklichen Ausdruck auf dem Gesicht. Um sie herum war es zunächst vollkommen finster, doch dann zeigten sich mit einem Mal kleine goldene Flecken. Sie wurden größer und heller, bewegten sich und tauchten die Welt in ein dämmeriges Grün. Tief unten im Wald, beinahe verdeckt vom Unterholz, stand sie neben Elcmar.
»Dort, da vorne habe ich seine Fährte gesehen!«, flüsterte er und wies auf einen schmalen Wildpfad, der zu einer Lichtung führte. Und noch während er seine Hand gehoben hatte, war ein leises Rascheln zu hören, und mit angehaltenem Atem verfolgten die beiden, wie ein gewaltiger Hirsch zwischen den hohen Stämmen der Eichen hervortrat. Gemächlich folgte er dem alten Pfad, die Muskeln seines starken Halses spielten unter dem Fell, denn er trug ein weitausladendes Geweih auf seinem Kopf. Danu und Elcmar wagten kaum zu atmen, als er vorbeilief, und bevor er sich ihren Blicken entzog, blieb er noch einmal stehen und drehte sein stolzes Haupt in ihre Richtung. Schwarze, große Augen schienen die Menschen mit einem wissenden Blick zu streifen, dann nickte der Hirsch noch einmal und verschwand im Dickicht.
Seufzend holte Danu Luft und sagte mit ehrfurchtsvoller Stimme: »Er ist weiß!«
»Ja, ein weißer Hirsch. Ein Bote aus der Anderwelt. Er wird euch helfen können«, antwortete Elcmar, der Danus Sprache inzwischen gelernt hatte.
»Ich werde mit Conall darüber reden müssen.«
Gemeinsam gingen sie zurück durch das raschelnde Unterholz,doch bevor sie auf den Pfad zum Dorf gelangten, legte Danu dem Mann die Hand auf den Arm. Elcmar zuckte zusammen, blieb aber sofort stehen.
»Komm, ich will dir etwas zeigen«, sagte Danu leise und wies in die andere Richtung. »Conall sagt, ihr habt in eurer Heimat den Göttern Häuser gebaut, so wie es die Römer tun.«
»Ja, einige Stämme haben an den heiligen Stätten Tempel errichtet.«
»Und, lassen sich die Götter dort nieder?«, fragte sie mit einem leisen Lächeln.
»Ich bin kein Druide, ich bin nur ein einfacher Krieger. Und unser Volk hat seine Götter immer in den Wäldern verehrt. Aber wir haben auch Feenhügel, also mag es durchaus sein, dass auch die Götter in von Menschen gebaute Behausungen einziehen.«
»Feenhügel?«
»Ja, uralte Steinwohnungen, die wie Höhlen aussehen. Man sagt, wenn man durch die Eingänge geht, findet man sich im Reich der Feen wieder, wo die Zeit ganz anders vergeht als in dieser Welt. Wehe, man verläuft sich darin. Dann kommt man vielleicht nie wieder zurück oder erst in einer ganz anderen Zeit. Niemand betritt diese Hügel.«
Danu nickte und bog ein paar Ranken zur Seite. »Ja, wir kennen auch die Geschichten des Feenlandes. Aber Feenhügel habe ich noch nie gesehen.«
»Wo führst du mich hin?«
»Zu einem stillen Ort.«
Elcmar nahm die Antwort als Zeichen dafür, nun zu schweigen, und folgte der schlanken Danu, die in ihrem braunen Gewand beinahe mit den Bäumen verschmolz. Es war kaum ein Weg zu sehen, und doch wusste sie genau, wo sie entlanggehen musste. Hier unten im Wald war es trotz der langen Hitzeperiode noch immer etwas kühl und feucht. Ich atmete den süßen,harzigen Duft des Waldes tief ein und lauschte dem leisen Glucksen des Wassers, das aus seinem Felsbecken rann. Es plätscherte nicht mehr wie üblich, wenn die Jahre feuchter waren, doch die Quelle war noch nicht ganz versiegt. Nur noch wenige Schritte, und sie zeigte sich hinter dem Dickicht aus Farn und niedrigen Sträuchern. Es mochte nicht richtig sein, dass ich Elcmar, den Fremden, zu diesem heiligen Platz mitnahm, aber er hatte mir den Boten der
Autre Monde
gezeigt, und vielleicht half es, wenn ich ihn der Herrin der Quelle
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