Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
deutlich abzeichnende Rippen – und hässliche rote Striemen, die sich über seinen Rücken zogen.
Endriel ließ beinahe ihre Tasse fallen. Es sah aus, als habe ein Skria seine Krallen an dem Jungen ausprobiert.
Miko zog das Hemd wieder herunter und legte die Hand zurück aufs Steuer. Sein Blick war auf die Anzeigen der Steuerkonsole gerichtet.
»Wer ... wer hat dir das angetan?«
»Mein Vater und ich ... wir verstehen uns nicht besonders gut, könnte man sagen. Und meine Mutter ... na ja. Ich bedeute ihr auch nicht sehr viel.«
Es erstaunte Endriel, wie nüchtern er darüber reden konnte. Als wären die Narben auf seinem Rücken nicht mehr als ein paar Kratzer. Es steckte sehr viel mehr in Mikolas Gorlin, als sie zuerst geglaubt hatte. »Du bleibst bei uns«, entschied sie. »Ich werde nicht zulassen, dass du zu diesen Ungeheuern zurückkehrst. Egal was auch geschehen mag, wir sind deine neue Familie, hast du gehört, Miko?«
Er konnte wieder lächeln. »Ja, Kapitän. Ich ... danke Ihnen.«
»Das musst du nicht.« Endriels Stimme wurde wieder sanfter. »Ich bin auch damals von Zuhause ausgerissen, weißt du? Auch wenn mein Vater mich niemals ...« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist nicht wichtig. Ich hoffe nur, du kannst die Gegenwart von uns Verrückten ertragen.«
»Keine Sorge, Kapitän. Mit Verrückten wird es wenigstens nicht langweilig!«
Endriel lachte. »Das stimmt wohl.«
»Eigentlich habe ich nur einen großen Wunsch«, sagte Miko. »Einmal ein Held zu sein. Damit mich die Mädchen bemerken, wissen Sie? Und wenn’s nur für ein paar Minuten ist.«
Sie legte eine Hand auf seine Schulter. »Keine Sorge, Miko, ich bin sicher, deine Zeit wird kommen. Nelen kann dich zum Beispiel sehr gut leiden.«
»Ich kann Nelen auch sehr gut leiden, Kapitän. Und Sie auch. Und Xeah. Sogar den Skria, wenn es sein muss.« Dann riss er den Mund zu einem Gähnen auf.
»Vielleicht solltest du auch langsam zu Bett gehen«, sagte Endriel. »Morgen müssen wir alle ausgeruht sein.«
»Ja, Kapitän.« Er nickte, obwohl er das Steuer nur mit sichtbarem Widerwillen abgab. Er marschierte in Richtung Tür und drehte sich dann noch einmal um. Er lächelte. »Schlafen Sie gut, Kapitän.«
»Du auch, Miko.«
Als sie wieder allein war, fiel Endriel ein, dass nun niemand da war, der Keru holen konnte, damit er sie ablöste. Sie hoffte, dass der Skria zurückkehrte, bevor sie das Schiff gegen den nächsten Berg manövrierte.
Als sie ihr Quartier betrat, aktivierten sich die Lichtkugeln und reizten ihre übermüdeten Augen. »Licht aus«, murmelte sie. In der Dunkelheit zog sie sich aus und schlüpfte ins Bett. Sie seufzte, als sie auf der Matratze ruhte wie auf einer Wolke.
»Endriel?«, hörte sie Nelens schläfrige Stimme direkt über sich.
Endriel gähnte. »Wer sonst? Habe ich dich geweckt?«
»Nee. Doch. Aber egal.« Ihr Gähnen hatte Nelen angesteckt. Sie hörte ein leises Rascheln, als die Yadi ihre Flügel ausstreckte. »Was ist nun mit dir und Kai?«
Endriel lag mit offenen Augen da. »Was meinst du?«
»Ich meine ...« Nelen murmelte etwas Unverständliches im Halbschlaf.
»Was?«
»Ich meine, ich hatte doch Recht, du bist in ihn verknallt, oder? Das Sefiron-Syndrom.«
»Er ist ein Kunde, Nelen. Unsere Beziehung ist rein geschäftlich. Und das wird sie auch bleiben.«
Wieder gähnte die Yadi. »Lügnerin«, murmelte sie. Dann war sie eingeschlafen.
Endriel lächelte in der Dunkelheit. Niemand wird mich je so durchschauen wie du . Sie schloss die Augen und glitt in einen tiefen Schlaf. Es war die erste Nacht an Bord ihres eigenen Drachenschiffes und sie fühlte sich so sicher wie nirgends auf Kenlyn.
Die Dragulia stand noch immer im Luftraum über Daraked und die Sha Yang-Maschinen in den Eingeweiden des gewaltigen Schiffs verhöhnten die Schwerkraft.
Wir verlieren zu viel Zeit! Andar Telios ging auf der Brücke nervös auf und ab. Seit dem Kontakt mit Ilur, dem Oberhaupt der Stadtverwaltung, waren Stunden vergangen. Endriels Schiff ist schnell. Jede Minute, die wir hier vergeuden, gibt ihr einen Vorsprung, den wir vielleicht nicht mehr aufholen können!
Natürlich war die Dragulia der Korona an Geschwindigkeit weit überlegen, doch das nutzte gar nichts, solange sie nicht wussten, welche Richtung sie einzuschlagen hatten. Die Tatsache, dass die Korona den Sprung ins nördliche Daraked gemacht hatte, bedeutete nicht zwingend, dass das kleine Schiff seine Reise auch in Richtung Norden fortsetzen würde.
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