Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
dem Weg von einem Dorf zum nächsten befunden, eine Zwei-Wochen-Reise durch Wälder und Wiesen. Keine Seele in Reichweite außer der einsamen Draxyll, die sich mit einem Rucksack voller Arzneien und Tinkturen aufgemacht hatte, den Kranken und Hungernden zu helfen. Der Frost hatte den Boden hart wie Eisen gemacht und wie ein eiskalter Egel langsam die Vitalität aus Xeahs Körper gesaugt, bis sie schließlich gezwungen gewesen war, sich in eine Höhle zurückzuziehen.
Dort hatte sie einen halben Monat lang gehaust und sich von Wurzeln und Schnee ernährt, während ihr Herz Tag für Tag ein wenig langsamer geschlagen und ihr Blut sich wie gefroren angefühlt hatte. Sie hatte sich fast damit abgefunden, bis zum Sommer gefangen zu bleiben, als die Rettung in Form einer Handelskarawane erschienen war und sie, die schon fast in die Kältestarre gefallen war, mit sich genommen hatte, um sie am Feuer zu wärmen und vor dem Winter zu beschützen.
Der Anführer der Karawane war ein junger Skria mit goldenem, schwarz gesprenkelten Fell und leuchtendgrünen Augen gewesen und sein Name war ... war – Xeah erinnerte sich nicht mehr. So viele Namen und Gesichter hatte sie im Laufe der Jahrzehnte vergessen. So viele Wesen, die sie auf ihren Wanderungen begleitet hatten, waren mittlerweile tot.
Xeahs Blick verlor sich im Schneetreiben über ihr. Es wirkte hypnotisch und machte ihre Lider schwerer und schwerer, doch sie konnte den Blick nicht abwenden. Ich darf jetzt nicht einschlafen , dachte sie noch, bevor ihr die Augen zufielen wie Klappen aus Blei. Die anderen verlassen sich auf mich. Ich darf nicht ...
Dunkelheit umhüllte sie und Xeah träumte von ihrer Heimat, dem fliegenden Kloster namens Himmelssanktum, wo ihre lange Reise begonnen hatte. Eines Tages würde sie dorthin zurückkehren, damit ihre Seele den Körper verlassen konnte, um die nächste große Reise zu beginnen.
»Das kannst du mir nicht antun!«, flehte Miko. »Bitte nicht!«
»Oh doch!« Nelen grinste fies. »Ich kann und ich werde es tun, verlass dich drauf!«
»Bitte! Gib mir noch eine Chance!«
»Bereite dich auf dein Ende vor, Mikolas Gorlin!« Und damit legte sie die Karten auf den Tisch. »Fünfzehn, drei, sechs und die Einäugige Eule! Und die Gewinnerin ist: Nelen, die Unschlagbare!«
Fassungslos glotzte Miko die Karten an, die Nelen vor sich ausgebreitet hatte, und dann sein eigenes Blatt. Selbst die Geflügelte Katze oder das Gläserne Schwert hätten ihn jetzt nicht retten können. »In Ordnung«, seufzte er resigniert. »Du hast gewonnen. Schon wieder.«
»Es wird langsam langweilig«, sagte Nelen amüsiert. Sie legte die Karten zusammen (sie waren fast halb so groß wie sie selbst) und ließ sich auf der Tischplatte nieder, wobei sie die Flügel um sich legte wie einen Umhang. »Hm. Sieht nicht so aus, als würde es bald aufhören zu schneien. Ich hoffe, sie holen sich da draußen nichts weg.«
Miko lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Durch das Bullauge sah er nichts als Weiß. »Ich wäre zu gern mit ihnen gegangen«, murmelte er.
»Beim nächsten Mal vielleicht. Sieh’s mal so: Dafür brauchst du dich nicht durch dieses Schneegestöber da draußen zu kämpfen. Noch ein Spiel?«
»Nee.« Miko schüttelte den Kopf. »Für einen Tag habe ich genug verloren. Für mein ganzes Leben!«
Nelen ließ ein Lächeln aufblitzen. »Sei doch nicht so dramatisch. Wenn du von vorn herein aufgibst, kannst du nie gewinnen! Wie willst du so ein Held werden?« Er hatte ihr von seinem größten Herzenswunsch erzählt – und ihr außerdem die Wahrheit über seine Eltern gebeichtet. Nelen hatte in beiden Punkten Verständnis gezeigt. »Außerdem«, fügte sie hinzu, »je mehr du spielst, desto besser wirst du. Ganz besonders, wenn du gegen eine Meisterin wie mich antrittst!«
»Und gegen wen bist du angetreten, dass aus dir eine Meisterin wurde?«
»Och, genau genommen gegen niemanden, jedenfalls nicht direkt. Endriel und ich haben früher eine Zeit lang gutes Geld mit Kartenspielen verdient. Na ja, das heißt, sie saß am Tisch, und ich habe mich von oben ein bisschen bei ihrer Konkurrenz umgesehen.« Sie grinste stolz.
»Nelen?«
»Ja?«
»Glaubst du ... der Kapitän ist in ihn verliebt? Ich meine, in diesen Kai?«
»Und wie!«
»Oh.« Er senkte den Blick, sein Finger malte unsichtbare Muster auf die Tischplatte. »Verstehe.«
»Hey, du hast dir doch nicht etwa Hoffnungen gemacht, oder?«
»N-Nein! Ich ... war nur neugierig.«
Eine Weile
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