Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
Lächeln. Es war ein Ausdruck purer Aggression.
Du warst also mal einer von uns , dachte der Admiral, während er das Bild der düsteren Raubkatze beobachtete. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war er scheinbar in Telios’ Alter gewesen, über vierzig, auch wenn man bei Skria mit solchen Schätzungen besser vorsichtig war. Aber du bist lange tot, mein Freund. Seit dreihundert Jahren. Und wie es aussieht, ist dein Kult zum zweiten Mal wiedergeboren.
Vielleicht handelte es sich nur um ein paar Kriminelle, die sich mit einem gestohlenen Namen Respekt verschaffen wollten. Oder ein paar bemitleidenswerte Narren, die dem Krieg nachtrauerten.
Vielleicht war es aber auch der Schattenkult, auferstanden aus dem Grabe.
Telios lehnte sich erschöpft zurück und strich sich über den kurzen Bart. Wer herrscht jetzt an deiner Stelle, Rul? Wer ist der neue Schattenkaiser?
Doch die Projektion starrte ihn nur finster an und Telios begriff, dass er auch keine Antwort auf seine Fragen bezüglich des Jungen erhalten würde. Nur totes Wissen.
»Kubus deaktivieren«, flüsterte er. Gerade als er das Artefakt zurück in seinen Verschlag winken wollte, erreichte ihn eine Übertragung von Shiaar. Das furchteineinflößende Raubtiergesicht des Letzten Schattenkaisers wurde durch das mähnenlose und wesentlich sanftere Antlitz seiner Ersten Offizierin ersetzt. »Admiral«, sagte sie. »Wir werden jeden Moment Kirall erreichen.«
18. Die Stadt im Schnee
»Weisst du, was ich am Winter hasse? Alles!«
– aus dem Theaterstück »Die Tanzenden Schwerter«, von Kesbra dem Älteren
Von der Lichtung aus führte ein kleiner Pfad durch das Tannendickicht. Die anfänglich vereinzelten Flocken hatten sich in einen wahren Schneevorhang verwandelt, der ihnen die Sicht raubte. Ihre Schritte knirschten im Schnee, unterlegt mit dem Heulen des Windes. In weiter Ferne kreischte alle paar Minuten eine Krähe oder ein anderer großer Vogel.
Endriel sog tief die frostige Luft ein. Sie roch nach Schornsteinrauch und Winter und schnitt ihr in die Lunge. Der eisige Wind hatte ihre Wangen rotgebissen und zerrte an ihren Haaren, die unter der Mütze hervorschauten. Endriel sah zu, wie ihr Atem den Körper als dichte Wolke verließ und und legte den Schal über Mund und Nase.
Keru zog seine Kapuze tief ins Gesicht, damit sie nicht fortgerissen wurde. Die beiden Menschen bewegten sich im Windschatten seiner mächtigen Gestalt und versuchten mit ihm Schritt zu halten. Der Wind bauschte den Mantel des Skria auf wie zwei dunkle Flügel.
Endriel blickte zurück, doch die Korona war hinter Bäumen und Schnee verschwunden. Eigentlich sollten wir dankbar sein für dieses Wetter , dachte sie. Es verbarg das Schiff und machte gleichzeitig die Vermummung von Keru und Kai weniger verdächtig. Blieb nur zu hoffen, dass die Wetterkontrollen der Sha Yang das genauso sahen ...
Miko und Nelen hatten sich in das Quartier des Kapitäns ein Deck tiefer zurückgezogen. Xeah war auf der Brücke geblieben, um nach Friedenswächterschiffen und anderen Schwierigkeiten Ausschau zu halten. Sie saß auf einem Diwan, den Blick zum gläsernen Dach gerichtet, wo Abermillionen weißer Flocken auf sie herabregneten, vom Wind in einen wilden Tanz versetzt. Sobald sie auf das spezielle Glas der Kuppel trafen, schmolzen sie und perlten davon ab wie Regentropfen von einem Lotusblatt. Die Sonne, die durch den dichten weißen Schleier leuchtete, wirkte viel zu klein, viel zu schwach. Ein blasser gelber Fleck, mehr nicht.
Xeah schlang ihre Robe enger um sich. Obwohl das Heizsystem einwandfrei arbeitete, glaubte sie spüren zu können, wie die Kälte in sie eindrang. Ihr Volk war nicht für solche Temperaturen geschaffen. Sie kannte die Geschichten von Draxyll, die man gewaltsam in kalten Regionen ausgesetzt hatte, wo sie in einen tiefen Winterschlaf fielen, der sie Monate ihres Lebens kostete.
Während ihrer Wanderjahre war sie immer darauf bedacht gewesen, dem Winter ein Schnippchen zu schlagen und nur in sommerlichen Gefilden geblieben, ständig hin- und herspringend zwischen den beiden Hemisphären.
Sie erinnerte sich noch gut an den überraschenden Wintereinbruch, den sie vor fast einem Jahrhundert erlebt hatte; damals, als sie noch jung und naiv gewesen war. Sie hatte das Himmelssanktum zum ersten Mal verlassen und war der festen Überzeugung gewesen, keine Macht der Welt könne sie aufhalten.
Bis sie eines Besseren belehrt worden war.
Als die Kälte sie erwischte, hatte sie sich gerade auf
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