Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
gelassen. Und Keru ebenso wenig.
Xeah hob den Kopf und beobachtete ihn eine Zeit lang. Er schien in Gedanken versunken; gleichzeitig steuerte er das Schiff mit mechanischer Präzision, als habe er sein Bewusstsein zweigeteilt. Sie wusste, welche Gedanken ihn bedrückten. »Du hast es ihnen immer noch nicht gesagt. Warum?«
»Wir haben im Augenblick andere Sorgen«, brummte er. Und damit war das Thema für ihn beendet.
»Glaubst du nicht, dass sie es jetzt verstehen würden, nach allem was sie wissen?«
»Lass mich in Ruhe!« Er riss den Kopf in ihre Richtung, sein Auge glühte. Plötzlich biss er die Zähne zusammen. Seine Pranke berührte den Verband um seinen linken Oberarm.
»Hast du Schmerzen?«
»Nein«, knurrte er, doch Xeah stand bereits neben ihm und öffnete den Verband, während seine Hände auf dem Steuer lagen. »Es ist in Ordnung!«, versicherte er grollend, aber die Draxyll blieb hartnäckig. Als sie die weiße Stoffbinde löste, kam die rotschwarze Brandwunde zum Vorschein, die ihm das Sonnenauge der Schatten beigebracht hatte. Sie lief quer über die rituelle Narbe, die in sein Fleisch geritzt war. Ihre Form erinnerte an einen verdrehten Dreizack.
Xeah ignorierte die Rune. Die Brandwunde hatte aus irgendeinem Grund angefangen zu bluten. Möglicherweise hatte er daran herumgekratzt. »Ich werde sie desinfizieren und einen neuen Verband anlegen müssen, bevor sie sich entzündet.«
»Es ist nichts«, fauchte der Skria. »Ich habe schon ganz andere Wunden überlebt, und –« Plötzlich riss er mit aufgerichteten Ohren den Kopf herum. Im gleichen Moment schob sich die Brückentür zur Seite und Kai Novus trat ein. »Hallo. Endriel und ich wollten euch ein bisschen Gesell –« Sein freundliches Lächeln erstarb sofort, als er das Zeichen an Kerus Arm sah. Blankes Entsetzen spiegelte sich auf seinem Gesicht wider. Er verlor keine weiteren Worte, machte kehrt und stürmte zur Treppe.
»Keru«, begann Xeah, doch er stieß sie zur Seite und setzte Novus nach. Die Korona bremste ruckartig, als er das Steuer verließ. Xeah war gezwungen, die Kontrolle zu übernehmen. Nun ist es doch geschehen , dachte sie traurig. Vielleicht ist es besser so.
»Warte!«, rief Keru dem Menschen hinterher, der mit scheppernden Schritten die Wendeltreppe hinunterflüchtete.
»Ich denke nicht daran!« Kai drehte sich nicht um. Er war schnell, doch nicht schnell genug für den Skria. Keru bekam ihn am Kragen zu fassen und hielt ihn fest. »Lass mich los!« Der Mensch zappelte in seinem Griff.
»Ich will es dir erklären«, knurrte Keru. »Hör mir zu!«
Hemdknöpfe sprangen ab, als Kai sich losriss. Aber Keru ließ ihn nicht entkommen. Blitzartig umschlang er seinen Brustkorb mit beiden Armen. »Es ist nicht, wie du denkst!«
Kai wehrte sich nach Leibeskräften. Kerus Krallen stachen wie Nadeln in sein Fleisch.
»Ich will dir nicht wehtun! Du musst mich anhören!«
Kai warf den Kopf nach hinten und traf Kerus Maul. Der Skria zuckte kurz, allerdings ohne locker zu lassen.
»Keru!«, rief Endriel am Ende der Treppe. Sie, Miko und Nelen waren auf den Korridor des Mitteldecks gestürzt. Kaltes Entsetzen packte den Kapitän als sie sah, wie Keru Kai im Würgegriff hielt. »Keru! Bist du wahnsinnig geworden?« Sie rannte die Treppe hoch. Warum jetzt?, dachte sie. Wenn er ihn töten wollte, warum hat er es nicht viel früher getan?
»Jetzt ist er endgültig durchgedreht«, flüsterte Nelen auf Mikos Schulter. Der Junge schluckte.
»Lass ihn los!«, befahl Endriel. »Auf der Stelle!«
»Er gehört zum Kult!«, stieß Kai hervor. Seine grünen Augen waren schreckgeweitet.
»Au Scheiße«, flüsterte Miko und machte ein paar Schritte zurück. Nelen suchte hinter seinem Rücken Schutz.
»Nein!«, grollte Keru.
Endriel blieb wie angewurzelt stehen. Sie konnte die Narbe an seinem Arm deutlich erkennen, das Zeichen, das ihm ins Fleisch geritzt worden war. Shadûr . Sie schloss die Augen. »Ja«, sagte sie ruhig und nickte. »Ja, ich weiß.«
»Was?«, rief Nelen fassungslos.
»Kapitän«, begann Miko.
Keru starrte Endriel an. Langsam lockerte er seinen Griff weit genug, dass Kai sich aus seiner Umklammerung befreien konnte. Er lief zu Endriel hinab. »Was soll das heißen, du weißt es? Woher?«
Keru blieb wie versteinert stehen und ließ seinen Blick nicht von ihr.
»Ich habe es geahnt, irgendwie.« Sie zuckte mit den Achseln. »Aber ich habe immer gehofft, dass ich mich irre.« Sie sah zu dem Skria empor. »Wie dem
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