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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klee
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geschwollen und rot von geplatzten Äderchen, das Haar schweißverklebt. Das Zimmer sah verwüstet und trostlos aus. Tränke, Öle undDecken lagen überall verstreut. Der Geburtsstuhl stand nutzlos in einer Ecke. Die alte Auda war in einer Ecke zusammengesunken und schnarchte leise. Danielle beugte sich über Laura und horchte auf ihren Atem. Sie schlug die Decke zurück. Verächtlich riss sie den Geburtsgürtel aus roten Sardersteinen ab und warf den Eselshuf weg, den man ihr auf den Venushügel gelegt hatte. «Fort mit diesem abergläubischen Kram!» Sanft befühlte sie Leib und Muttermund.
    «Das Kind bewegt sich. Es lebt», verkündete sie. «Es ist aber so, wie ich gedacht habe: Das Kind liegt richtig, der Kopf ist ins kleine Becken eingetreten. Aber es ist zu groß, und sie ist zu schwach, um es herauszupressen. Es gibt nur einen Weg: Ich muss einen Dammschnitt machen.»
    Auda war aufgewacht. Sie bekreuzigte sich. «Was ist das für ein Hexenwerk?»
    «Das ist keine Hexerei, es ist ganz normal. Ich habe diesen Eingriff schon oft vorgenommen. Schnell jetzt! Eines noch, Herr Marius: Wenn ich nur einen von beiden retten kann: Willst du das Kind opfern oder die Mutter?»
    «Das Kind», sagte Marius bleich. «Rette Laura.»
    Danielle nickte. Sie schob ihn hinaus und schloss die Tür.
    «Die Kirche verlangt es anders. Sie wollen, dass man die Mutter sterben lässt und dann aus ihrem toten Leib das Kind herausschneidet, damit sie es taufen können», hörte Marius Auda sagen, doch Danielles Antwort entging ihm. Er begann zu beten.
    Jeanne kam mit der Magd und brachte, was Danielle in Auftrag gegeben hatte. Die Frauen huschten in das Zimmer und wieder heraus. Die Magd war sehr blass, als sie herauskam, und musste sich übergeben.
    Marius saß auf dem Treppenabsatz, die Ellbogen auf die Knie gestützt, das Gesicht in den Händen. Wenn von drinnenein Geräusch zu hören war oder Laura gar stöhnte, dann zuckte er zusammen, als hätte man ihn geschlagen. Nach einer Weile wurde es drinnen sehr still. Marius sprang auf. «Laura!»
    Plötzlich hörte er von drinnen den ersten Schrei seines Kindes. Es hatte eine kräftige, tiefe Stimme. Die Tür öffnete sich. Auda brachte ihm den Säugling heraus, einen roten, faltigen kleinen Menschenwurm, seinen Sohn. Er nahm ihn, überaus vorsichtig, andächtig. Winzige rote Fingerchen schlossen sich um seinen Zeigefinger. Ein Paar veilchenblauer Augen, riesig in dem kleinen Gesicht, schauten glasig durch ihn hindurch. Marius lachte, hob das Bündel hoch in die Luft, sah es wieder an, wiegte es in seinen Armen und weinte und lachte gleichzeitig.
    «Und Laura?», fragte er plötzlich. «Was ist mit Laura?»
    «Sie lebt und ist den Umständen entsprechend erschöpft. Aber sie wird sich erholen. Danielle wird Euch eine Diät für sie aufschreiben, die ihr rasch wieder auf die Beine hilft. Wartet noch einen Augenblick, ehe Ihr hineingeht. Wir müssen noch ein wenig aufräumen. Es ist kein Anblick für einen Mann.»
    Als sie wieder hineinkam, hatte Danielle die Wunde genäht und versorgt.
    Eine Magd half ihnen, Laura zu waschen, sie in ein frisches Hemd zu kleiden und das Laken zu wechseln, bevor sie Marius zu ihr hineinließen. Laura war schläfrig, aber bei Bewusstsein, als ihr Mann hereinkam und ihr das Kind an die Brust legte. Aller Schmerz, alle Angst waren vergessen. Ihr Gesicht war immer noch gerötet und geschwollen, doch Danielle dachte bei sich, dass Laura nie schöner ausgesehen hatte. Als die Beginen die jungen Eltern verließen, schlief Laura, und Marius hielt beseligt sein Kind im Arm.
    Catherine stand an der Tür. Sie schien das Glück der Eheleutenicht recht zu teilen. Die Haare hingen ihr wirr um den Kopf, und ihre Miene war finster. Die Augen folgten Danielle, bis die Tür hinter ihr ins Schloss fiel.
    «Das hätte ich nicht gedacht, dass ich in meinem Alter noch was lernen kann», sagte Auda, als die drei Frauen zum Beginenhof zurückgingen. Es begann hell zu werden, das kühle blaue Licht des Morgens wanderte am Himmel empor. Über dem Glockenturm von Saint Nicolas zogen hauchdünne gelbe Schleierwolken auf, die von unten sanft zu leuchten begannen. Die Glocken der nahen Benediktinerabtei riefen zum Morgenlob.

17.
    «Laura Vidal ist tot!»
    Der Ruf hallte wider in den dumpfen Gassen. Er drang durch die salpetrigen Mauern und die winzigen Fensteröffnungen, schraubte sich hoch bis zu den Dachtraufen, wo selbst die Schwalben für einen Augenblick innehielten, sich an ihren

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