Die Ketzerbibel
worden. Du behältst es besser für dich. Und jetzt rasch: Hast du Melissensaft?»
«Ich habe gleich welchen gemacht, als ich davon gelesen habe.» Jeanne suchte in einem Schränkchen und warf in ihrer Hast allerlei um. Es klirrte. «Da ist es!» Sie hielt Danielle ein braunes, bauchiges Fläschchen hin.
Danielle zog den Stopfen heraus und roch daran. «Er ist gut! Wir müssen die anderen Zutaten zusammen mit dem Saft und viel Zucker aufkochen, sobald wir dort sind. Das erleichtert die Geburt und stößt die Nachgeburt aus. Als Erstes aber geben wir ihr ein wenig Schlafmohn.»
«Warum denn das?»
«Sie hat sich schon so lange gemüht und Schmerzen gehabt, dass ihr Beckengürtel sicher versteift ist. Wir müssen zuerst dafür sorgen, dass sie sich entspannt. Wir werden sie wärmen und ihren Unterleib mit Thymianöl massieren. Vermutlich ist sie in Panik und völlig verkrampft. Man muss sie beruhigen, wärmen und tief atmen lassen. So. Ich habe alles zusammen!»
Die beiden Frauen hasteten durch das nächtliche Pertuis. Ihre Schritte hallten in den engen Häuserschluchten, durch die Rue Saint Jacques, am Kornspeicher vorbei.
«Was tust du, wenn sie gerissen ist?»
«Sie mit ihrem eigenen Haar nähen. Darauf gibt man ein Pulver aus getrockneten Wermutblüten, Rosen und den Blüten des wilden Granatbaums. Ich vermute aber, dass wir ganz andere Sorgen haben werden mit ihr.»
Eine Nachtwache hielt sie auf: «Wohin?!»
«Zum Haus von Mestre Marius de Vidal. Seine Frau liegt in den Wehen.»
«Ich habe gehört, sie sei tot», sagte der Mann. «Der Arzt ist nach Hause gegangen.»
«Du hast zu lange gezögert! Warum hast du dich nicht früher entschlossen?», rief Jeanne vorwurfsvoll.
«Ich habe Angst gehabt! Du kannst nicht wissen, wie das ist, was mir geschehen ist! Da möchte ich einen sehen, der da noch helfen will!», rief Danielle, aber sie drängte sich an dem Mann vorbei, rannte über die Place Saint Nicolas und zu dem schönen dreistöckigen Palais der Vidal. «Komm schnell, vielleicht ist es nicht wahr!» Sie betete halblaut. ‹Bitte, lass es nicht zu spät sein! Wenn du mich ihr helfen lässt, dann will ich fortan wieder als Ärztin arbeiten, auch wenn es mich mein Leben kosten sollte. Gib mir ein Zeichen. Lass sie leben, ich bitte dich!›
Im zweiten Stock brannte Licht. Sie riss am Türklopfer. Jeanne war ihr gefolgt, so schnell sie konnte. Eine heulende Magd machte ihnen auf.
«Ihr kommt zu spät! Sie liegt im Sterben!», schluchzte sie. Aber sie ließ sie hinein. Das bleiche Gesicht von Catherine erschien oben am Treppenabsatz. «Du?!» Sie stellte sich ihnen in den Weg. «Was will die denn hier?», wandte sie sich wütend an Jeanne. «Die darf nicht zu meiner Schwester hinein!»
«Aber sie ist Ärztin! Sie kann ihr helfen!»
«Ärztin, die? Diese hergelaufene Bettlerin? Niemals! Sieist eine Lügnerin und Betrügerin! Eine Hexe! Auf keinen Fall lasse ich zu …»
Marius kam aus dem Zimmer, in dem Laura lag.
«Was ist hier los? Mit wem sprichst du, Catherine?» Er erblickte Jeanne. «Lass sie doch durch!»
Mit einem anklagenden Finger wies Catherine auf Danielle. «Jeanne darf hinein, aber die da nicht! Dass sie sich überhaupt traut, ihr Gesicht in diesem Haus zu zeigen!»
«Ich weiß nicht, was ihr mir vorzuwerfen habt, Mestra Catherine», versuchte Danielle sie zu beruhigen, «aber ich versichere Euch, dass ich tatsächlich eine ausgebildete Ärztin bin, spezialisiert auf Frauenleiden und Geburtshilfe.»
«So plötzlich? Das glaube ich nicht!», schrie Catherine voller Hass. «Eine Kurpfuscherin bist du. Und eine Hexe! Meinen Verlobten hast du mit deinen Zauberkünsten umgarnt, ihn von mir weggelockt! Und jetzt willst du auch noch meine Schwester umbringen, die dir nichts getan hat?»
Marius schob Catherine beiseite. «Was redest du da? Lass sie durch! Bist du wirklich Ärztin, dann geh zu ihr und hilf ihr, wenn du kannst. Und du schweig still, Catherine! Geh in deine Kammer, wenn du dich nicht nützlich machen willst. Über alles andere reden wir morgen. Jetzt ist nicht die Zeit!»
«Wenn meiner Schwester etwas zustößt, dann wirst du es bereuen!», schrie Catherine Danielle hinterher, drehte sich um und stürmte davon.
Jeanne ging mit der Magd in die Küche, um den Trank und das wärmende Pflaster zu bereiten.
Danielle lief hinter Marius die Treppe hinauf. Er führte sie in das Geburtszimmer. Dort lag Laura auf dem Bett, ihre Augen waren geschlossen, das Gesicht vom Weinen
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