Die Ketzerbibel
Verlöbnis zerstört, eine gute Frau von ihrem Ehemann fortgelockt. Und kaumdass sie ein Wochenbett aufsucht, siehe da, da ist der Säugling verschwunden? Und du willst mir einreden, sie habe mit allem nichts zu tun?»
In der Hahnengasse waren inzwischen der Sohn von Annik, der Bäcker Guillaume und einige andere eingetroffen, die den Beginen verbunden waren. «Nachbarn! Was tut ihr hier! Nehmt doch Vernunft an!», riefen sie.
«Sie sollen die Hexe herausgeben. Dann tun wir ihnen nichts!», schrien die anderen zurück.
«Wenn sie etwas getan hat, dann soll sie ordentlich vors Gericht gestellt werden. Es ist nicht eure Sache zu richten.»
«Nichts da. Da redet sie sich bloß wieder heraus. Sie soll bezahlen, und zwar gleich!»
«Lasst sie in Ruhe!»
«Weg vom Tor!»
«Nichts da! Wir holen uns die Mörderin. Steht uns nicht im Weg, oder ihr kriegt selber was aufs Maul!»
«Das werden wir gleich sehen!»
Mit Holzknüppeln und Fäusten drangen sie auf die Menge vor dem Tor ein. Alix öffnete kurz das Fensterchen und schloss es gleich wieder, um sich umzuwenden und zu schreien: «Annik! Dein Sohn ist zu unserer Verteidigung gekommen. Jetzt prügeln sie aufeinander ein!»
«Oh, lieber Gott! Hoffentlich passiert meinem Adolphe nichts!»
Annik rannte zum Tor und schaute hinaus: Die Verteidiger waren eindeutig in der Minderzahl. Sie steckten Prügel ein, und es gelang ihnen nicht, die Menge vor dem Tor zu zerstreuen. Einige hatten Stroh und Kleinholz unten vor dem Tor aufgeschichtet. Das Holz der Tür begann bereits zu schwelen. Annik roch den Qualm und musste das Guckloch sofort wieder schließen. Rauchschwaden drangen durch die Ritzen.
«Sie haben einen Brand gelegt!»
«Seht ihr? Lasst sie uns herausgeben. Dann haben wir Ruhe!», sagte Gebba.
«Judas!»
Juliana war unterdessen zur rückwärtigen Mauer gelaufen und sprach mit Renata. Renata holte einen kleinen Schemel aus dem Stall, stieg darauf und sah über die Mauer. Unten stand der übliche Pulk Bengel und glotzte herauf.
«Du da, Olivier!», sprach sie den größten Jungen an. «Willst du dir einen ganzen Sou verdienen? Lauf rasch zur Porte Murette und hol die Stadtwachen, die dort stehen! Sag ihnen, sag ihnen … ach, sag ihnen einfach, wenn sie nicht sofort kommen, wird es Mord und Totschlag geben. Schnell! Beeil dich! Und danach gehst du zum Franziskanerkloster und bittest Calixtus herzukommen! Erst die Wache, dann Calixtus, hast du verstanden?»
Der Junge nickte eifrig und sauste davon.
Einige Beginen umstanden Danielle: Magdalène, Manon, Guilhelme, Jeanne, Auda, Alix. Ein anderer Teil von ihnen hatte sich hinter Gebba aufgestellt: Annik, Justine, Philippa, Marthe. Danielle fühlte einen harten, kalten Klumpen anstelle ihres Magens. Ihr war, als würde sie in tiefem Wasser versinken. Alles wiederholte sich ganz so, wie sie es schon einmal erlebt hatte. Ganz eingeschrumpft war sie, hörte nur noch undeutlich die Worte, sah kaum noch die Schwestern. Das Blut pochte in ihren Ohren, ihren Wangen. Sie spürte nicht, wie Magdalène ihr einen Arm um die Schultern legte. Alles war weit in die Ferne gerückt. Sie stand auf einem gläsernen Berg.
«Gebba! Von Anfang an hast du es auf Danielle abgesehen, du Luder!», rief Magdalène. «Ständig hast du sie mit deinen Sticheleien und Verdächtigungen verfolgt! Warum willst du ihr nicht zuhören? Sie sagt doch, dass sie das Kindnicht genommen hat, und Jeanne und Auda bestätigen es. Was willst du noch?»
«Warum sollten wir jetzt ihren Lügen Glauben schenken?», rief Gebba. «Die ganze Zeit über hat sie uns hingehalten und uns etwas vorgespielt. Aber wie es scheint, holt ihre Vergangenheit sie jetzt ein! Steh da nicht so trotzig! Zeige endlich Reue! Auf die Knie mit dir und gestehe!»
Anne war hinzugekommen und hielt Danielle wortlos eine Bibel hin. Danielle legte die Hand darauf und sagte: «Ich schwöre, bei meiner Seele, dass ich Ärztin bin. Ich habe Laura nach allen Regeln meiner Kunst behandelt. In den frühen Morgenstunden habe ich sie mit Gottes Hilfe von einem gesunden, kräftigen Sohn entbunden. Auda hat ihn Marius selbst in die Arme gelegt. Mestra Laura war so wohlauf, wie man es erwarten kann.» Doch selbst für sie klang ihre eigene Stimme taub, ohne Überzeugungskraft.
«Das kann ich auch beschwören», sagte Jeanne. «Es ist die Wahrheit!»
Aber Gebba ließ sich nicht beruhigen: «Wenn es die Wahrheit ist, dann soll sie sich stellen. Sie soll hinausgehen und sich dem Gericht
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