Die Ketzerbibel
verstehen: «Gebt die ausländische Hexe heraus!»
«Mörderin! Mörderin!»
«An den Galgen mit ihr!»
«Ersäufen soll man sie! Wartet, bis wir sie zu fassen kriegen!»
Von außen warfen sich Leute gegen das Tor. Die Lederriemen knarrten, der Riegel verbog sich, das Tor öffnete sich einen Spaltbreit.
Die dicke Manon kam hinzu. Mit ihrem Gewicht konnten sie den Spalt so weit schließen, dass es Jeanne und Alix gelang, den schweren Querbalken vor das Tor in die Halterungen zu heben. Die Tür war aus dickem Eichenholz. Man würde sie schon abbrennen müssen, um sie von außen zu öffnen.
«Holt Juliana!», rief Jeanne. Alix war auf ihren Schemel neben dem Eingang gesunken. «Mein Lebtag habe ich so was noch nicht gehört! Was wollen die denn von uns? Was habt ihr denn letzte Nacht getan?»
«Wir haben Laura das Leben gerettet! Als wir gegangen sind, waren alle wohlauf, Laura, Marius und das Kind! Es muss ein Irrtum sein, ein böswilliges Gerücht!», verteidigte sich Jeanne.
Juliana kam und hinter ihr der Rest der Beginen. Danielle kam aus dem Dormitorium und blieb ein Stück weit von den anderen entfernt stehen. Sie war kalkweiß im Gesicht.
Juliana öffnete das vergitterte Guckfensterchen und versuchtesich verständlich zu machen. «Nachbarn! Lasst uns in Frieden! Wir haben nichts getan!»
«Die italienische Hexe hat Mestra Laura ermordet und ihr Kind dem Teufel geopfert!»
«Das ist nicht wahr!»
«Das ist wohl wahr. Wir haben eine Zeugin, die hat alles mit eigenen Augen gesehen!»
«Mörderin! Mörderin! Heraus mit ihr!»
Eine Faust schlug gegen das Gitter. Juliana fuhr zurück, versuchte es aber noch einmal im Guten. «Hört doch, ihr guten Leute! Ihr kennt uns! Wir haben euch nie etwas Böses getan. Handelt doch nicht unüberlegt! Hört uns an!»
«Gegen euch haben wir nichts! Wir wollen die Italienerin! Gebt sie heraus!»
Das war die Stimme von Maudru.
«Geht weg, Leute. Sie hat Laura geholfen, nicht sie getötet», rief Juliana.
«Lügen! Diesmal seid ihr zu weit gegangen, ihr Teufelshuren! Dafür werdet ihr bezahlen!»
Pflastersteine krachten gegen das Holz, und dazwischen hörte man ein feuchtes Klatschen: Sie warfen mit Mist. Juliana schloss hastig das Guckloch. Das Tor erbebte von Axtschlägen und Fausthieben, doch das Vorhaben wurde schnell aufgegeben.
«Hol doch jemand Stroh und Späne! Wir räuchern das Nest aus! Wir zünden die Tür an!», brüllte draußen Maudru. «Wenn sie die Hexe nicht freiwillig herausgeben, dann holen wir sie uns! Und ihr anderen, wenn ihr sie schützt, garantieren wir euch für nichts! Heraus mit ihr, sofort, oder ihr werdet es alle bereuen!»
«Was können wir tun?» Julianas Blick fiel auf die hintere Mauer am Stall. Mit raschen Schritten ging sie hin.
Gebba drehte sich zu Danielle um und hob einen anklagendenFinger: «Da steht sie, und tut wieder unschuldig, wie gewöhnlich! Bist du nun zufrieden? Deinetwegen werden sie uns noch das Haus über dem Kopf anzünden!»
«Warte, Gebba! Danielle hat nichts Böses getan. Im Gegenteil! Ich verstehe das nicht: Als wir gegangen sind, da waren sie alle wohlauf», rief Jeanne.
«Nun, dann wird sie wohl später gestorben sein an der Pfuscherei, die diese da veranstaltet hat! Wo ist der Säugling? Sag es gleich!»
«Ich habe ihn nicht», sagte Danielle.
«Gebba! Ich sage dir doch: Wir sind zusammen fortgegangen, und alles war in Ordnung. Was auch immer sich bei den Vidals abgespielt hat danach, Danielle kann nichts damit zu tun haben», beteuerte Jeanne.
«Aber warum ist das Kind dann weg? Gebba hat recht: Das ist doch alles sehr verdächtig, nicht wahr, Gebba?», meldete sich Annik zu Wort. «Sie muss etwas getan haben, sonst hätten wir diesen Ärger jetzt nicht. Warum musstest du sie denn da hineinziehen, Jeanne? Hättest du doch der Natur ihren Lauf gelassen. Ihr derart ins Handwerk zu pfuschen, das ist Gotteslästerung!»
Die alte Auda schüttelte fassungslos den Kopf. Jeanne machte einen Schritt auf Gebba zu, baute sich direkt vor ihr auf und ballte die Fäuste. Sie verspürte eine fast übermächtige Lust, ihrer Schwester den Hals umzudrehen. «Hätten wir Laura sterben lassen sollen? Jesus gib mir Geduld, oder ich vergreife mich an dieser Frau! Gebba, du kannst doch nicht alles, was schiefgeht, Danielle anlasten. Hör uns doch einmal richtig zu!»
Gebba gab kein Stück nach. «Seit sie zu uns gekommen ist, sind wir vor die Inquisition gezerrt worden, sie hat die Nachbarn gegen uns aufgebracht, ein
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