Die Ketzerbibel
entspannte sich ein wenig.
«Wer bittet, dem werde gegeben. Wer klopfet, dem werde aufgetan. Also gut. Wir erlauben dir zu bleiben. Aber wir beobachten dich! Mache deinen Schwestern keine Schande, hörst du?» Dann legte er seine Hand auf Danielles Kopf und murmelte einen Segen. «Geht nun!» Er ging wieder zum Altar, stieg die drei Stufen empor und blieb dort stehen, bis Calixtus und Magdalène ihr aufgeholfen hatten und sie, von ihnen gestützt, zum Ausgang humpelte.
«Man wird sehen, man wird sehen», murmelte er und zog die Stirn in Falten. «Gedächtnis verloren –
ma foi!
»
Fast fluchtartig verließen die Beginen die Kirche. Kaum waren sie draußen unter freiem Himmel, begannen sie aufgeregt durcheinanderzurufen, wie eine Gänseschar, unter die der Fuchs gefahren ist: «Heilige Jungfrau! Das war ja entsetzlich!»
«Hast du seine Augen gesehen, Schwester? Wie der Leibhaftige hat er dreingeschaut!»
«Als wollte er unsere arme Schwester ersäufen!»
«Ich schwöre, mir wäre fast das Herz stehengeblieben!»
«Geht es dir gut, Danielle?»
«Kannst du aus eigener Kraft nach Hause laufen?»
Laura stand da, ihr zartes Gesicht ganz weiß. Marius stützte sie. Er hatte sie daran gehindert, in der Kapelle zu bleiben und die Prozedur bis zum Ende anzuschauen.
«Bist du wohlauf? Allen Heiligen sei Dank! Danielle!»
Danielle nickte. «Es ist vorbei. Beunruhigt Euch nicht meinetwegen. Es ist alles gut.»
Magdalène und Manon nahmen sie in ihre Mitte und halfen ihr, sich mit einem Zipfel ihres Mantels das Weihwasser aus dem Gesicht zu wischen und die Haare notdürftig zu trocknen. Anne lieh Danielle ihren Schleier.
«Gütiger Himmel, hat er wirklich geglaubt, du seist besessen?!» Manon schüttelte fassungslos den Kopf.
«Ja, das hat er», sagte Calixtus. «Ihr Erinnerungsmangel kann als Geisteskrankheit ausgelegt werden. Es ist nicht normal. Ich habe zwar nicht mit dem gerechnet, was eben geschehen ist, aber ich hätte damit rechnen müssen! Der Abbé ist ein Mann plötzlicher Entschlüsse. Es tut mir leid, Danielle, wenn ich es geahnt hätte, dann hätte ich dich davor gewarnt.»
«Ich hätte es selber wissen können», sagte Danielle und wischte sich die Nase mit einem Ärmel. «Es ist das übliche Verfahren. Ich habe sogar einmal gesehen, wie man eine Heilerin in einen Teich geworfen hat, um sicherzugehen, dass sie keine Hexe war. Fast wäre sie ersoffen. Dass sie unterging und nicht schwamm, nahm man als Zeichen ihrer Unschuld!» Sie lachte schwach. «O ja, aber man glaubt ja nie, dass einem so etwas selber passieren kann.»
«Zum Glück hast du beherrscht reagiert! Wenn du dich gewehrt hättest – nicht auszudenken!»
Danielle nickte nur, noch halbtaub von Atemnot und Wasser in ihren Ohren.
«Jetzt bin ich mehr denn je davon überzeugt, dass du ein guter Mensch bist», sagte Juliana. «Nun kann niemand mehr etwas gegen dich sagen. Wir werden jetzt wohl unsere Ruhe haben. Und gut, dass du ihn so demütig um seinen Segen gebeten hast! Eine überaus kluge Geste. Gib dem Priester, was des Priesters ist, sage ich immer. Gott bedarf unserer Unterwerfung nicht, aber Abbé Grégoire ist ein stolzer Mann.»
Danielle wurde vom Abendessen im Gemeinschaftsraum und der anschließenden Lesung entschuldigt. Sie durfte gleich hinauf in den Schlafsaal gehen, wo sie sich entkleidete, ein trockenes, frisches Unterkleid anzog und sich auf ihren Strohsack legte.
Mit weitgeöffneten Augen lag sie in dem stillen, dämmrigenRaum und sah durch das Fenster auf das winzige Stück Madonnenblau, das langsam dunkel wie Tinte wurde.
Später kam Magdalène zu ihr herauf und brachte ihr Suppe und ein Stück Brot.
Danielle richtete sich auf und fing an zu löffeln, während Magdalène ihr sanft den Rücken streichelte.
«Wie tapfer du warst! Ich glaube nicht, dass ich das so hätte ertragen können wie du! Ich hätte gekratzt und gespuckt wie eine Katze!»
‹Das hätte ich auch getan, wenn es mir wichtig gewesen wäre, am Leben zu bleiben›, dachte Danielle. Laut sagte sie: «Ich wusste, dass es eine Probe war. Was mich nur gewundert hat: Warum hat es der Priester selbst getan? Wird für so etwas nicht eigens ein Exorzist gerufen? Ich habe immer gedacht, dass so ein Ereignis mit größerer Vorbereitung geschieht. Hatte er überhaupt das Recht, mich so plötzlich anzugreifen?»
«Er hat sich das Recht genommen. Abbé Grégoire hält sich für den persönlichen Vertreter des Papstes, und uns Beginen hat er besonders im
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