Die Ketzerbibel
Auge.»
«Ich habe gehört, dass man andernorts die Beginen in Frieden lässt. Ist das hier im Süden nicht so?»
«Ach, dann weißt du es gar nicht», sagte Magdalène erstaunt. «Na ja, woher auch. In Pertuis liegen die Dinge etwas anders: Pertuis gehört dem Papst persönlich.»
Danielle ließ den Löffel sinken.
«Ja, es ist so», fuhr Magdalène fort: «Die Stadt Pertuis wurde vom König dem Ritter von Blanchefort, Bertrand de Got, zum Lehen gegeben, demselben, der vor fünf Jahren zum Papst gewählt wurde. Letztes Jahr hat er sich in Avignon festgesetzt, und das liegt ziemlich in der Nähe. Unser guter Abbé Grégoire, der möchte sich gern bei seinem Herrn beliebt machen. Ach, er hätte es so genossen, wenn es sicherwiesen hätte, dass wir mit deiner Aufnahme einen Fehler begangen hätten. Wie gern hätte er als erfolgreicher Exorzist dagestanden!»
«Dann sollte ich vielleicht gehen, damit ich diesem Priester keine Handhabe gebe, euch zu schaden», flüsterte Danielle. Aber Magdalène wollte nichts davon hören.
«Was redest du denn?! Unsinn: Du hast die Weihwasserprobe überstanden und vor ihm die Knie gebeugt. Er wird dich vergessen. Mach dir keine Sorgen. Wir stehen alle hinter dir. Und Mestra Laura mag dich. Jeder hier mag dich!»
‹Mindestens eine Schwester mag mich nicht›, dachte Danielle und hatte Gebbas saures Gesicht vor Augen.
3.
Mit mahlenden Rädern, klappernden Hufen und hallenden Tritten rasselten sie durch das Stadttor in südöstlicher Richtung, der «Porte de Durance». Die Straße führte vom Tor schnurgerade zum großen Fluss und zum Flusshafen Saint Nicolas, aus dem die Stadt großen Gewinn zog. Man hatte dort ein natürliches Becken ausgebaut, eine Ausbuchtung des tiefsten der Flussarme, wo die Durance sich in den kalkigen Boden gefressen hatte. Die Anlegestelle war mit starken Eichenbalken befestigt worden, jeder aus einem hundertjährigen Baum gehauen. Da wurden kostbare Waren aus- und eingeladen und besteuert: Silber und Edelsteine aus den Bergen, Spezereien aus Venedig, die auf Mauleseln über die Alpen gebracht worden waren, ehe die Reise auf dem Fluss weiterging; Wollstoffe, Olivenöl und Wein aus Pertuis, Salz aus Marseille und dem Peccais. Nicht zu jeder Jahreszeit war die Durance schiffbar: Im Frühjahr schwoll sie vom Schmelzwasser mächtig an und überflutete Felder und Wiesen, im Sommer wurde sie mager und träge. Pertuis selbst lag auf einer kleinen Anhöhe, wo es vor den frühjährlichen Überschwemmungen sicher war.
Danielle blieb einen Augenblick wie angewurzelt stehen, so überwältigt war sie von der Weite, die sich vor ihr öffnete. Plötzlich wurde ihr bewusst, was sie in den letzten Wochen vermisst hatte: das freie Land und darüber den unendlichen Himmel, nicht nur kleine Stückchen und Flicken davon, durch Lücken zwischen Mauern und an Ziegeln vorbei erhascht.
Die Beginen verließen den Konvent nur zum Kirchgang und in Geschäften – und dann auch nur mindestens zu zweit und immer eine jüngere in Begleitung einer älteren Schwester. ‹Als hätten alleinstehende Frauen nichts anderes im Sinn, als auf dem schnellsten Wege die nächste Gelegenheit zur Unzucht zu nutzen …›, dachte Danielle belustigt. ‹Wer käme denn da in Frage? Schau, schau, vielleicht der schmerbäuchige, glatzköpfige Gastwirt dort, der mit öligem Grinsen im Türrahmen steht? Oder der krummbeinige Alte, der unter seinem Bündel Brennholz daherkeucht? Oder das grüne Jüngelchen da, mit dem ausgestopften Hosenlatz und dem grindigen Kopf? Ja, wahrlich, die Welt ist voller Einladungen! Und sogar der junge Mann dort mit seiner glatten, gebräunten Haut und den festen Muskelpaketen an seinen Armen, warum sollte ich ihn begehren, nur weil er ansehnlich und greifbar ist? Es ist ja nicht so, als ob wir Tiere wären. Und nicht einmal die sind immer dazu aufgelegt.›
«Es geht nicht darum, was wir tun, sondern es geht darum, was andere denken, dass wir tun», hatte die Meisterin geseufzt.
«Oder was sie möchten, dass wir täten», hatte Danielle hinzugefügt. Doch in ihrer Probezeit war der Ausgang bis auf die Messen ohnehin verboten. Und je weniger die guten Bürger von Pertuis von der «Bettelbegine» zu sehen bekamen, desto besser war es für alle.
An diesem Tag aber durfte sie hinaus.
«
Ohé!
Heute ist Waschtag! Wir gehen waschen! Hinaus in die Natur, zum Fluss! Und wir machen ein
gousteto
, ein Pique-nique!», jubelte Magdalène und tanzte schon in der Dämmerung durch
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