Die Ketzerbibel
den Schlafsaal wie ein Kind. Dabei war der Waschtag an sich kein Spiel. Ein hölzernes Wägelchen war beladen worden mit allen Utensilien der Reinlichkeit, mit hölzernen Bottichen, Seifen,
bacèou
, den paddelartigenhölzernen Schlegeln zur Bearbeitung der Wäschestücke, einer Vorrichtung zum Wringen und vielem mehr. Sechs Maultiere trugen die gesammelte schmutzige Wäsche des Winterhalbjahrs und dazu noch eine Ladung Vliese, die zu schmutzig zum Verspinnen waren. Das alles versprach einen langen, harten Arbeitstag, aber auch einen Tag im Freien, im Grünen und in der Sonne, einen Tag, an dem sich die braven Beginen einmal aufführen durften wie junge Mädchen, scherzen und planschen und um die Mittagszeit im Schatten alter Bäume ein gutes Mahl genießen.
Danielle atmete tief durch und genoss den Rundblick. Der Himmel verfärbte sich eben von Zartrosafarben über Goldorange und Weizengelb in ein klares, hartes Meerblau. Es versprach, ein heißer Tag zu werden. So früh am Morgen war das Grün der Wiesen noch frisch. Oberhalb der Dunstschleier sah sie die Bergdrillinge «Die drei Brüder» schweben, als seien sie nicht mit der Erde verbunden, und weit in der Ferne, kaum von Wolkenbänken zu unterscheiden, die schneebedeckten Alpen nach dem Piemont zu. Nach Süden hin fiel das Land ab bis zu den hellen Bändern der Durance. Hinter sich wusste sie den langgezogenen blauen Bergrücken des Luberon-Gebirges, vor ihr schimmerte in einem hellen Grau der Mont Aventure, wo der römische Feldherr Marius die Teutonen geschlagen hatte, am Horizont die Spitzen der Meeralpen und nach Südosten das braune Sainte-Baume-Massiv, wo die heilige Maria Magdalena begraben lag, dahinter, nur zu ahnen im Dunst, das Meer …
Steile Felsen ragten auf über ein hellgrünes Meer, Gischt schäumte. Fischernetze waren am Strand zum Trocknen aufgespannt. Frauen in Schwarz suchten zwischen den Felsen nach Muscheln. Eine Stadt schmiegte sich an den Hang, bunte Häuser und steile Kopfsteingassen. Ganz oben auf der Kuppe ein weißes Gebäude, Säulen. Ein alter Mann in einem weißen Gewand kam über den Strand auf sie
zu, er rief etwas und lächelte – sie strengte sich an, ihn über dem Tosen der Brandung zu verstehen …
«Komm schon! Was hältst du Maulaffen feil», rief Magdalène. Danielle riss sich aus ihrer Träumerei und rannte den Schwestern hinterher. Sie waren ausgezogen, in leichtem Sommerleinen, Sandalen an den Füßen und mit weitkrempigen Strohhüten über den Wimpeltüchern auf den Köpfen. Eine halbe Stunde Fußmarsch hatten sie wohl vor sich, durch Bohnen-, Korn-, Zwiebel- und Weinfelder, vorbei an hellblauen Olivenhainen, unter denen jetzt, Anfang Juni, weiße Milchsterne in großer Zahl blühten. Die schwarzen Fackeln der Zypressen ragten rechts und links der Straße auf.
In einiger Entfernung vor dem Hafen Saint Nicolas bog die kleine Karawane nach links auf einen Feldweg ab. Gewaschen werden musste flussaufwärts, da an den Anlegestellen viel Unrat ins Wasser geworfen wurde.
Eine Biegung oberhalb des Hafens kamen sie zu einer mit Weiden bestandenen Wiese. Der mächtige Fluss, der im Frühjahr so tobte und weit über die Ufer trat, hatte sich in sein Kiesbett zurückgezogen. Flach abgeschliffene Felsquader ragten aus dem Wasser, wie die Rücken riesiger grauer Tiere, zum Waschen wie gemacht. Etliche Frauen aus der Stadt waren bereits dort, meist Mägde aus den besseren Häusern. Sie begrüßten die frommen
sorores
ehrerbietig.
«Bonjour!»
«Olà!»
«Einen schönen guten Tag, Schwester Guilhelme! Ich dank dir auch nochmal für die gute Medizin, die du meinem alten Vater im Winter gebracht hast! Sein Husten ist ganz fort. Es geht ihm gut!»
«Dank euch für den Sack Linsen nach
carnaval
! Ohne das hätten wir nicht weitergewusst!» Sie hatten am
Mardi Gras
imFestrausch ihre letzten Vorräte aufgegessen. Die Zeit bis zur ersten Ernte wäre ihnen lang geworden ohne die Spende.
«Vergelt’s Gott!»
Die Beginen begannen die schmutzige Wäsche und die Gerätschaften abzuladen. Renata legte den Maultieren Fußstricke an, sodass sie weiden, aber sich nicht davonmachen konnten. Magdalène raffte quietschend und lachend ihre Röcke hoch, streifte im Laufen die Sandalen ab und rannte ins flache Wasser. Guilhelme und Danielle trugen zwischen sich einen Korb mit Kleidungsstücken zum Fluss, knieten auf einem flachen Stein nieder und begannen mit der Arbeit.
Geübt tauchte Guilhelme ein Wäschestück ins Wasser, schwenkte
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