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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klee
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gewöhnen konnte: der morgendliche Kirchgang mit nüchternem Magen. Sonst fand sie sich mit allem ab – mit dem frühen Aufstehen, mit dem häufigen Beten zu festgelegten Zeiten, mit dem Mangel an Freiheit, der ständigen Aufsicht durch die Mitschwestern, dem verwässerten Wein, mit Gebbas Sticheleien, ja sogar mit dem Fehlen von Musik und Lustbarkeiten – aber zur Kirche ohne Frühstück, das war arg. Zum Glück ließ die Meisterin wenigstens im Anschluss daran eine gute und reichliche Mahlzeit auftischen.
    Bei den einfachen Leuten gab es die Reste der Suppe vom Vorabend, wenn überhaupt etwas. Manche aßen ein Stück Brot, das sie vorher in verwässerten Wein getunkt hatten. Bei den reichen Leuten gab es kalten Braten oder Ei in Milch. In Marseille aß man angeblich eine ganze Knolle Knoblauch und trank den Wein dazu schon morgens unverwässert, das mochte Juliana aber nicht glauben. «Man soll sich nicht vollstopfen», pflegte sie zu sagen, «aber mit leerem Magen kann man kein ordentliches Tagewerk vollbringen. Und mit von Wein vernebeltem Kopf erst recht nicht.» Also hatte Annik während der Morgenandacht bereits eine große Kanne Fencheltee an der Glut warm gestellt. Es gab Brot, frischen weißen Ziegenkäse und gedämpfte Früchte. Jedermann wartete, bis Juliana fertig gegessen hatte. Sie sprach das Gebet für den Tag, rückte ihren Schemel zurück und ging hinaus, gefolgt von Anne. Magdalène stieg eilig aus der Bank und folgte ihnen. Im Hof holte sie die Meisterin ein.
    «Juliana, auf ein Wort: Ich möchte einen Vorschlag machen, Danielle betreffend.»
    «So?»
    «Wir kommen nicht weiter mit ihr. Sie ist krank.»
    «Mir scheint sie ganz gesund.»
    «Äußerlich. Ja. Aber du weißt schon, was ich meine: Sie ist krank an der Seele. Da ist etwas, das unter der Oberfläche schwärt. Und dann, so wie neulich Abend, oder bei der Sache mit den Flussschiffern, da bricht es heraus, und es wird offenbar, dass da etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist. Es ist nicht gut, wenn man sich selbst nicht kennt, wenn man sich nicht erinnert, wer man war.»
    «Und wenn diejenige sich nicht erinnern möchte?»
    «Dann erst recht nicht», beharrte Magdalène. «Es ist nicht gesund. Man muss mit sich selbst und mit Gott ins Reine kommen.»
    «Und wie möchtest du im Kopf deiner Schwester Ordnung schaffen?»
    «Carolus könnte versuchen, sie zu heilen.»
    «Der junge Medicus? Warum sollte ihm gelingen, was uns nicht gelungen ist?»
    «Nun, er ist freundlich, ruhig und geduldig. Ich traue ihm zu, dass er nicht nur die Krankheiten des Körpers, sondern auch die der Seele zu heilen vermag. Fragen wir ihn doch, ob er es versuchen will.»
    Juliana ließ sich nicht so leicht hinters Licht führen. «Du meinst, dass er auf sie die übliche Wirkung hat. Und dass sie ihn gewähren lässt, damit sie in seiner Nähe sein kann. Meine liebe Magdalène. Was soll ich nun davon wieder halten?!»
    Magdalène legte eine Hand auf ihren Busen, ganz die missverstandene Unschuld.
    «Ach, er soll doch nur Gespräche mit ihr führen, weiter nichts. Was kann das schon schaden?»
    «Und wie und vor allem wo soll das geschehen? Im Hospital?»
    «Nein, da nun gerade nicht. Danielle hasst das Hospital. Dort würde sie sich niemals öffnen. Ich dachte an etwas Stilleres, Angenehmeres.»
    «Eine Kammer? Wir können doch nicht einen Mann mit einer Schwester allein lassen. Das schickt sich nicht und verstößt gegen unsere Regeln», sagte Juliana streng. «Das kommt gar nicht in Frage!» Sie wollte sich schon abwenden.
    Doch Magdalène hatte sich schon alles genau zurechtgelegt.
    «Ich dachte, er könnte im Garten mit ihr sprechen. Alix wäre in der Nähe oder ich. Uns vertraut sie und würde es nicht als Einmischung empfinden. So wäre dem Anstand Genüge getan. Sie wären unter aller Augen und doch ungestört.»
    «Im Garten.» Juliana schürzte die Lippen. «Hm, das wäre annehmbar. Aber nur am hellen Tag. Vor der Abendandacht muss er gehen! Nach Sonnenuntergang darf sich kein Mann in unserem Hause aufhalten.» Sie dachte nach und sagte dann: «Nun gut, einverstanden. Ich werde ihn fragen. Du unternimmst erst einmal nichts weiter, verstehen wir uns?»
    «O ja, natürlich. Am besten, du redest auch mit unserer Schwester.»
    «Überredest sie – meinst du wohl. Ich werde es ihr freistellen, ob sie sich auf so etwas einlassen mag oder nicht. Ich werde es ihr nicht befehlen.»
    «Danke, Meisterin.»
    Als Magdalène sich umdrehte und zur Küche zurückging,

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