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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klee
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entkamen über die hintere Mauer zwischen Stall und Latrine.
    «Was stehst du da so herum? Warum hast du mir nicht geholfen?!» Wütend versetzte Alix der Mauer einen letzten Hieb mit ihrem Stock. «Diese Lausebengel! Die fressen uns noch die Haare vom Kopf! Letzte Wochen haben sie Rüben gestohlen, davor waren es die ersten Zwiebeln! Heute sind’s unsere guten Kirschen!»
    «Ach, lass sie doch», sagte Magdalène im Vorübergehen. «Du weißt doch ganz gut, wie es bei denen zu Hause zugeht. Die haben immer Hunger! Sieh es als eine andere Art der Armenfürsorge.»
    «Dass sie bei uns klauen können? Feine Fürsorge, da lernen sie gleich was fürs Leben», brummte Alix.
    Am Abend blieb Danielle noch ein wenig Zeit, um an ihrem Teppich weiterzuwirken. Ein Gesicht war nun zu erkennen, das Haar mit einem weißen Band zurückgebunden. Die Schultern wurden sichtbar und ein einfaches weißes Gewand. Auch der Himmel war nun abgeschlossen. Ranken und Blumen zeichneten sich ab, die den Kopf umschlossen und sich rechts und links des Körpers nach unten hin fortsetzten. Hinter dem Gewebe hingen kleine Bündel aufgewickelter Wollreste in verschiedenen Farben herunter. Und es kamen immer mehr hinzu, je mehr Schattierungen Danielle einarbeitete.
    «Das war freundlich, dass du der schwangeren Frau die Wassereimer getragen hast. Alix hat es erzählt», sagte Guilhelme.
    Magdalène war hereingekommen und schaute ihrer Freundin über die Schulter.
    «Du hast aber auch ein besonderes Verhältnis zu Schwangeren. Wie du dich auch um Laura sorgst   …»
    «Klipp, klapp», machten die Tritte der Webstühle.
    «Vielleicht hat unsere Danielle ja ein geliebtes Kind verloren oder mehrere und aus Kummer das Gedächtnis verloren», rätselte Philippa.
    «Eher hat sie doch wohl ihr Kind umgebracht und ist dafür bestraft worden.» Das war unverkennbar Gebba.
    «Unsinn! Für so etwas wäre sie ersäuft worden», kam es von Manon.
    «Dann war sie vielleicht Hebamme und ist für eine Pfuscherei geteert und gefedert worden», ließ Gebba nicht locker. «Ja, das passt!»
    «O nein, das glaube ich ganz gewiss nicht. Vielleicht wünscht sie sich nur sehnlich ein Kind», sagte Guilhelme.
    «Oh, seid doch nicht so grausam zu ihr!», rief Magdalène. «Seht ihr denn nicht, wie ihr sie quält mit eurer Neugier und euren taktlosen Vermutungen?»
    Doch es war schon zu spät. Danielle war aufgesprungen und hatte heftig die Spindel zu Boden geworfen. Mit Tränen in den Augen rief sie: «Ich wäre euch wirklich dankbar, wenn ihr nicht über mich reden würdet, als sei ich gar nicht da!» Weinend stürzte sie aus dem Raum. Magdalène lief hinterher, um sie zu trösten, doch sie konnte sie nirgends finden.
    Danielle hatte sich im Stall versteckt. Sie vergrub ihr Gesicht im warmen, struppigen Fell eines Maultieres und weinte, bis ihre Augen zuschwollen. Renata fand sie nach dem Abendessen. «Hier steckst du also. Wir waren alle sehr besorgt.» «Bestürzt» traf es eher. So heftig hatten sie die neue Schwester noch nie erlebt. Sie war doch sonst immer so ausgeglichen und beherrscht!
    «Ach, lasst mich doch in Ruhe», sagte Danielle und wandte sich ab.
    Renata ließ sich nicht abweisen.
    «Sie haben es nicht böse gemeint. Na ja, für Gebba würdeich meine Hand nicht ins Feuer legen. Aber die anderen sind alle sehr zerknirscht. Die Neugier ist mit ihnen durchgegangen. Du solltest ihnen verzeihen.»
    «Schon recht», erwiderte Danielle.
    «Nein, nein», Renata klopfte ihr auf den Rücken, so wie sie es mit ihren Tieren tat. «Ich meine: wirklich vergeben. Sie sind deine Schwestern und Freundinnen.»
    «Ich brauche keine Freundinnen. Allein war ich besser dran.»
    «Kein Mensch ist allein besser dran. Und das weißt du auch ganz gut. Nun komm mit. Da, wasch dir das Gesicht!»
    Danielle ging zum Trog und spritzte sich mit beiden Händen kaltes Wasser ins Gesicht, bis es etwas abgeschwollen war. Renata warf ihr einen Lumpen zum Abtrocknen zu.
    Wie ein widerborstiger Esel ließ Danielle sich in die Küche führen. Annik gab ihr – ausnahmsweise wortlos – eine Scheibe Brot in die Hand, dick mit Honig bestrichen, und stellte einen Becher Ziegenmilch neben sie auf den Küchentisch.
    Nach diesem Vorfall wurde Danielles Vergangenheit nicht mehr diskutiert, zumindest nicht in ihrer Gegenwart. Ein paar Tage lang schienen alle auf Zehenspitzen um sie herumzuschleichen. Dann kehrte wieder Alltag ein.

6.
    Es war die einzige Regel, an die sich Magdalène einfach nicht

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