Die Ketzerbibel
hatte es gehört und klatschte in die Hände. «Wir haben solche Vergnügungen nicht nötig. Lasst uns beten und essen und eine erbauliche Geschichte hören stattdessen.»
Zum Trost hatte Annik ein Festmahl vorbereitet: gefüllte Schafsfüße mit Steckrüben und einen Brotpudding mit Kirschen und Zimt. Anschließend las Anne ein Kapitel aus der Vita einer Heiligen vor, ein Buch, das dermaßen erbaulich war, dass die Hälfte der guten Beginen bereits schnarchten, bevor sie zum Ende gekommen war. Danielle und Magdalène meldeten sich zum Küchendienst wie verabredet.
«Eine von uns sollte wenigstens morgen früh gehen und etwas Holzkohle vom Johannisfeuer holen, das schützt das Vieh bis nächsten Johannis vor Krankheiten. Nun, vielleichtist ja morgen früh noch was davon da, wenn wir zur Kirche gehen. Man sagt, das sei ein Aberglaube, aber bei uns hat es immer gewirkt! Also stimmt es», plapperte Annik, während sie das Brot für den nächsten Morgen knetete. «Als ich klein war, hat mein Vater immer einen Walnusszweig über dem Stalleingang verbrannt, und wir mussten alle darunter durchlaufen, während er brannte. Einmal ist meiner Großmutter dabei ein Funken ins Haar gefallen, und sie ist zum Trog gelaufen und hat den Kopf hineingesteckt, um sich zu löschen.» Sie gähnte und rieb sich die Augen mit bemehlten Händen, sodass sie wie eine Schneeeule aussah.
«Arme Annik. Was für ein langer Tag! Du siehst müde aus. Warum legst du dich nicht schon hin. Wir erledigen den Rest», sagte Magdalène.
«Ja, wirklich? Das würdet ihr tun?»
«Aber gewiss, liebe Schwester. Hast du dir nicht heute besonders viel Mühe gegeben und uns mit einer köstlichen Mahlzeit verwöhnt? Dafür wollen wir dich gern etwas entlasten.»
Annik zögerte, ließ den letzten Teigklumpen in die Schüssel fallen und schaute sich in der Küche um. «Nun ja, es müssen noch die Pfannen eingeölt werden und die Ziegenkäslein gewendet und die gedämpften Pflaumen aus der Kammer geholt und in Schüsseln verteilt werden für das Frühstück – sie sind in dem blauen irdenen Topf im zweiten Regal unter dem kleinen Fenster –, und ich wollte auch noch ausfegen, es soll doch alles sauber sein an Saint Jean …»
«Das machen wir alles», beteuerte Magdalène und schob sie sanft hinaus. Als Annik unter Gähnen und Danksagungen verschwunden war, beendeten die zwei Jüngeren rasch ihre Aufgaben. Magdalène füllte einen kleinen Krug mit Wein aus dem Fass im Keller. Unter den Putzlumpen zog sie zweibestickte Kopftücher hervor, von der Art, wie sie die Bäuerinnen an Festtagen trugen. «Da, leg das um und zieh es dir recht weit ins Gesicht. Dann erkennt uns auf der Straße keiner», flüsterte sie.
Kichernd huschte sie voraus, durch den dämmrigen Hof, zum Tor. Aus Julianas Haus drang noch Kerzenlicht. Das Schwein rumorte in seinem Verschlag. Sonst war alles still.
Als sie durch die Gasse, vorbei am Hospital zum Tor kamen, schaute Alix ihnen schon erwartungsvoll entgegen. Sie streckte beide Hände nach dem Weinkrug aus.
«Ach, Kinder, ihr seid gut zu einer alten Frau», sagte sie. «Es ist ja nicht so, als ob ich eine Säuferin wäre, aber es betäubt meine höllischen Gliederschmerzen, ja, ich trinke lediglich für meine Gesundheit: Wein brennt die ungesunde Dämpfigkeit aus dem Körper, auch wenn Jeanne das nicht einsehen will!» Sie nahm gleich einen tiefen Zug und setzte den Krug dann ab.
«Ah! Das tut gut. So, Kinder, jetzt muss ich zum Abort. Ihr werdet mir in der Zwischenzeit doch keinen Unsinn anstellen, etwa hinausgehen in diesen Trubel da?»
«Nein», beteuerte Magdalène mit unschuldig aufgerissenen Augen. Alix zwinkerte ihnen zu und schlurfte über den Hof zu den Latrinen. Magdalène zog den Riegel zurück und öffnete die Tür einen Spalt. «Es ist niemand auf der Straße.» Sie schlüpften hinaus. Die Hahnengasse war ruhig, bis auf ein Liebespaar, das engumschlungen in einem Hauseingang stand. Doch von der Place de l’Ange her klang schon ausgelassener Lärm.
Die beiden
sorores
betraten den Platz. Wo am Tage Marktstände gewesen waren, hatten jetzt Garküchen ihren Betrieb aufgenommen: geröstete Kuttelwürste und gekochte Eier wurden feilgeboten, eine Hammelseite drehte sich am Spieß, Fett tropfte in das Holzkohlenfeuer und in die Pfanne mitdem gekochten Korn und verbreitete einen appetitlichen Duft.
«Hier, Mädchen, esst mit uns! Trinkt!» Becher wurden ihnen entgegengehalten und Messer, an denen Stücke gebratenen
Weitere Kostenlose Bücher