Die Ketzerbibel
weiter.»
Garsende ließ sich von Danielle in den Schlafsaal geleiten, ins Bett bringen und zudecken wie ein Kind. Erst als sie erschöpft einschlief, ließ sie Danielles Hand los.
Magdalène hatte alles von ihrem Lager aus beobachtet.
«Häng nur nicht dein Herz an sie», flüsterte sie, als Danielle sich neben sie legte. «Die geht zurück zu ihrem Mann.»
«Das glaube ich nicht», antwortete Danielle leise. «Hast du nicht gehört und gesehen, wie er sie behandelt hat?»
«Ach, das ist leider gar nicht ungewöhnlich. Und die meisten von ihnen bleiben lieber bei ihren Peinigern, als die Unsicherheiten eines selbstbestimmten Lebens auf sich zu nehmen.»
Danielle drehte Magdalène den Rücken zu.
8.
Es roch nach Holzkohle und frischgebackenem Brot. Der Brotofen hinter dem Haus des Konsuls war bereits in der Dämmerung angeheizt worden und verstrahlte eine trockene Hitze. Mannshoch war er und hatte vier Mäuler, die beständig gefüttert werden wollten. Die Frauen von Pertuis standen in einem weiten Kreis um das Ungetüm herum. Einige warteten, dass ihre Backwaren fertig würden, andere darauf, dass sie an die Reihe kämen. Annik und Magdalène hatten wie jeden Morgen den Weg durch die Rue Vaillante zur Place de l’Ange gemacht, beladen mit großen Holzbrettern, auf denen die vorgeformten und bemehlten Laibe lagen. Abends wurde der Teig geknetet und angesetzt. Über Nacht durfte er zugedeckt an der Kaminglut ruhen und hübsch aufgehen. Vor dem Kirchgang prüfte Annik den Teig. Sie stach mit dem Finger hinein und beklopfte ihn. Zäh und seidig glänzend gab die Oberfläche unter dem Finger nach. Eine Kuhle entstand und füllte sich sogleich wieder von innen. Weich musste der Teig sein und doch eine gewisse Spannung haben. Er war wie eine Frau: Was weich ist und nachgiebig, kann dennoch große Kraft entwickeln durch Stetigkeit. Zufrieden klopfte sie auf den Teigklumpen. Das Brot von Sainte Douceline war ihr ganzer Stolz. Noch nie war ihr der Teig zusammengefallen oder sauer geworden. Es war gut.
Liebevoll formte sie die Brote und legte sie auf die Tragebretter, auf denen sie während des Kirchgangs noch ein wenig aufquellen durften. Viermal hatten die Beginen umdas Recht nachgesucht, einen eigenen Brotofen in ihrem Hof bauen zu lassen. Jedes Mal war ihre Eingabe zurückgewiesen worden.
«Warum wollt ihr denn einen eigenen Brotofen? Ihr könnt doch den hinter dem Haus des Konsuls nutzen», hatte man ihnen zur Antwort gegeben. Der Brotofen gehörte dem Herrn der Stadt ebenso wie die Getreidemühle, und jeder, der diese Einrichtungen benutzte, hatte eine Abgabe zu leisten.
«Wir wollen, soweit es möglich ist, in Abgeschiedenheit leben. Es ist nicht gut, dass sich meine Schwestern zu oft unter das Volk mischen, Tratsch und Anfeindungen ausgesetzt sind. Alle Klöster haben ihre eigenen Brotöfen», hatte Juliana gesagt.
«Aber ihr seid nun mal kein Kloster», hatte man sie beschieden.
«Wir haben uns nicht ganz aus der Welt zurückgezogen, das ist wahr. Doch wir verlassen unser Haus nur für den Kirchgang und die notwendigsten Besorgungen. Das will ich so, um meine Schwestern zu schützen, und ihr verlangt es doch auch! Sagt ihr nicht immer wieder, dass alleinstehende Frauen eine Gefahr für die guten Sitten sind? Dann gebt uns auch die Möglichkeit, unter uns zu bleiben.»
Aber alles Bitten und Verhandeln hatte nichts genützt. Und so stand Annik auch heute wieder mit den Bürgerinnen und Mägden zusammen am gemeinschaftlichen Ofen.
«Der junge Medicus ist ja recht oft bei euch in letzter Zeit», sprach eine Nachbarin Annik an.
«Er behandelt eine von uns wegen ihres verlorenen Gedächtnisses», erwiderte Annik.
«Ach, die Italienerin?»
«Genau dieselbe.»
«Und wie macht er das?»
«Er spricht zu ihr mit ruhiger und liebenswürdiger Stimme, er schaut ihr tief in die Augen. Er bringt ihr schöne Sachen mit, um sie fröhlicher zu stimmen. Und alles das tut er nur aus Freundlichkeit und Nächstenliebe, ohne einen einzigen Sou dafür zu verlangen», schwatzte Annik.
‹Nur aus Nächstenliebe! Wer es glaubt›, dachte die Nachbarin.
«So ein gutaussehender, freundlicher Mann, der Herr Carolus», redete Annik weiter, «dem würde ich alles erzählen. Er hat so eine Art, dass man gleich gesund werden möchte, nur wenn er mit einem spricht.»
«Sind sie etwa allein miteinander?», fragte die Nachbarin lauernd.
«Nein. Natürlich nicht! Sie sitzen im Garten, wo jeder sie sehen kann! Ich schaue manchmal
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