Die Ketzerbibel
an Danielle und Magdalène: «Und ihr beide? Was hattet ihr auf der Straße zu suchen? Des Nachts? In solch einer Nacht noch dazu? Schämt euch, was wirft das für ein Licht auf uns alle? Ich werde mir eine geeignete Strafe für euch ausdenken müssen!»
Damit wandte sie sich um und kehrte kopfschüttelnd in ihr Haus und in ihr Bett zurück. Die Ruhe währte nicht lange:
«Aufmachen! Aufmachen!» Fäuste hämmerten gegen das Tor des Beginenhofes. Das kleine Torhaus hallte davon wider wie ein Glockenturm.
«Wer? Was ist?», stammelte Alix, die ebenfalls eingeschlafen war.
«Garsende! Garsende! Komm sofort heraus!», schrie eine wütende Stimme.
Alix öffnete das Guckloch und spähte hinaus. Drei Kerle standen vor dem Tor, doch sie machten Lärm für mindestens zehn. Es war die graue Stunde kurz vor Sonnenaufgang. Pertuis lag in trunkener Betäubung nach den Ausschweifungen der letzten Nacht. Die Nachbarn fluchten in ihren Betten,mochten sich aber nicht erheben und hofften, dass der Lärm da draußen von selbst aufhören würde.
«Kommt zu einer vernünftigen Zeit wieder, meine Herren! Dann kann man über alles reden», versuchte Alix die Männer zu beruhigen.
«Was gibt es da zu reden, alte Vettel? Gebt mein Weib heraus, oder es soll euch übel bekommen!»
Es blieb nichts anderes übrig, als Juliana zu wecken, zum zweiten Mal in dieser Nacht. Natürlich war sie davon wenig erbaut. Alix rüttelte die Neue wach. Auch Danielle erwachte.
«Ich komme mit», sagte sie. «Je mehr von uns am Tor sind, desto besser wird es sein!» Sie zog sich ein Überkleid über das Hemd, in dem sie geschlafen hatte. Die Neue klammerte sich verzweifelt an Danielle, während sie zum Tor gingen.
«Ihr werdet mich doch nicht ausliefern?», fragte sie mit zitternder Stimme.
«Wer spricht denn von ‹ausliefern›? Wo denkst du hin?», sagte Juliana. «Hier wird niemand ausgeliefert. Wenn du bei uns bleiben willst, dann ist das dein gutes Recht!»
«Recht haben und Recht behalten sind zweierlei Dinge», murmelte Garsende vor sich hin, als sie am Garten vorbei über den Hof gingen. Sie ließ Danielles Arm nicht einen Augenblick los. Danielle ging sehr gerade.
«Aufmachen! Ihr Jesusschlampen! Gebt meine Garsende heraus!» Die Kerle grölten noch immer in der Gasse herum. Inzwischen schauten doch einige Nachbarn aus den Fenstern.
«Geht nach Hause und schlaft euren Rausch aus!», schrien sie, und: «Hört sofort mit dem Krach auf, sonst komm ich runter!» Erst als der Inhalt eines Nachttopfes über die Tobenden geleert war, wurden sie ein wenig ruhiger.
«Sprich mit ihm!», befahl Juliana Garsende, die am ganzen Körper zitterte.
«Geh nach Hause, Maudru», sagte sie so leise, dass man sie kaum verstand.
«Bist du das, Garsende?», kam es von draußen. Ein erneuter Fausthieb ließ das Tor beben. Die Frau zuckte zurück. «Was fällt dir ein, so einfach fortzulaufen, mitten in der Nacht? Und dich auch noch zu diesen Beginen zu gesellen? Willst du mich zum Gespött der ganzen Stadt machen, Garsende? Sofort kommst du heraus, hörst du?»
«Ich komme nicht», sagte Garsende.
«Dann kommen wir hinein, und gnade dir Gott, wenn du mich dazu zwingst, Weib!»
«Das würde ich euch aber nicht raten», rief Danielle, «dass ihr gewaltsam hier einzudringen versucht! Wir haben hier ein hübsches Mörderloch. Auf euch wartet ein Kessel siedenden Öls, solltet ihr es doch wagen!» Juliana schaute streng: «Du sollst nicht lügen», formten ihre Lippen, doch die Drohung tat ihre Wirkung, und Danielle glaubte, ein leises Lächeln um Julianas Lippen ausmachen zu können.
«Ihr seid ja verrückt, ihr Beginen-Weiber! Es ist eine Schande, dass man euch gewähren lässt. Lockt brave Ehefrauen von ihren Männern und Kindern fort! Morgen kommen wir mit der Stadtwache wieder, und dann müsst ihr sie herausgeben. Hörst du, Garsende, und dann kriegst du die Prügel deines Lebens, das schwöre ich dir!»
«Gebt Ruhe! Wir wollen schlafen!», riefen die Nachbarn.
Ein letzter Fausthieb, von dem die Tür erzitterte. Garsende zuckte zusammen.
Die Kerle zogen ab.
Garsende schmiegte sich an Danielle, die schützend einen Arm um sie gelegt hatte.
«Diesmal bringt er mich ganz gewiss um», schluchzte sie. «Ich hasse ihn!»
«Nun, nun, es ist nicht gut, von Hass zu reden oder ihn in sich zuzulassen», sagte Juliana, «sei er auch noch so verständlich. Jetzt geht schlafen, Kinder, nur noch ein Stündchen, bis unser Tag beginnt. Dann sehen wir
Weitere Kostenlose Bücher