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Die Ketzerbraut. Roman

Titel: Die Ketzerbraut. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Hofhaltung ausreichten, hielt er sich nicht nur an den reichen Bürgern Münchens, sondern auch an denen seiner anderen Städte schadlos, indem er von ihnen Darlehen verlangte und deren Zurückzahlung meist auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschob.
    Seit Veva Augsburg erlebt hatte, konnte sie sich nicht mehr vorstellen, auf Dauer in München zu leben. Dabei verleideten ihr nicht nur äußere Umstände die Stadt. Zu viel erinnerte sie hier Tag für Tag an ihren toten Bruder, und sie spürte die Wunde in ihrem Herzen umso stärker, je öfter sie Gegenstände und Plätze sah, die Bartl etwas bedeutet hatten.
    Um auf andere Gedanken zu kommen, ging sie in die Küche, wo Cilli und Lina dabei waren, das Mittagessen aufzutischen. Sie beluden gerade ein großes Tablett und ließen sich von ihrer Herrin nicht stören. Als sie die Platte jedoch extra für Veva ins Speisezimmer tragen wollten, schüttelte diese den Kopf. »Ihr könnt einen Platz in der Küche für mich decken.«
    Cilli drehte sich erstaunt zu ihr um. »Aber Herrin, das gehört sich nicht. Ihr seid doch …«
    »Ein Mensch mit zwei Beinen, zwei Armen und einem Kopf, genauso wie du oder Lina und das restliche Gesinde. Außerdem mag ich nicht allein in der Kammer sitzen und mit niemand anderem reden können als mit mir selbst.«
    »Das verstehe ich schon«, antwortete die Köchin zögernd und stellte das Tablett ab.
    Unterdessen wischte Lina den besten Stuhl am Küchentisch mit einem Tuch ab und holte noch rasch ein Kissen für Veva. »So mag es gehen.«
    Als sie an Cilli vorbeikam, raunte sie dieser zu: »Du musst die Herrin verstehen. Wenn Frauen in anderen Umständen sind, haben sie oft seltsame Anwandlungen.«
    Der Hinweis auf Vevas Schwangerschaft brachte die Köchin dazu, dieser einen Napf Suppe hinzustellen, die sie noch rasch mit etwas Weißwein verfeinert hatte. »Lasst es Euch schmecken, Herrin!«
    Veva fand es seltsam, dass eine Frau, die sie zeit ihres Lebens geduzt hatte, sich plötzlich die Zunge verbog, nur weil sie verheiratet und nach dem Tod des Vaters die Herrin des Besitzes geworden war. Dabei hatte sie auch vorher schon das Haus geführt und fühlte sich nicht anders als damals. Doch in Cillis Augen war sie erst jetzt die Hausherrin geworden und hatte damit das Recht erworben, ehrerbietig angesprochen zu werden.
    Seufzend setzte sie sich und wartete, bis sich das restliche Gesinde um sie versammelt hatte. Dann sprach sie das Tischgebet. Ihre Hausgenossen griffen aber erst zu, als sie selbst zu essen begann. Rasch merkte sie, dass die Leute nur auf ihre Bemerkungen antworteten, wenn sie sie direkt ansprach, und ansonsten stumm dasaßen. Das war so ungemütlich, dass sie beschloss, die nächste Mahlzeit wieder im Speisezimmer einzunehmen, auch wenn sie dort nur Selbstgespräche führen konnte. In diesem Augenblick vermisste sie Ernst mehr, als sie es für möglich gehalten hatte, und wünschte sich, er würde bald zu ihr zurückkommen.

2.
    I n den nächsten Tagen gab es für Veva viele Entscheidungen zu treffen, und es trafen Waren ein, die zu ihren jeweiligen Empfängern gebracht werden mussten. Daher blieb ihr nichts anderes übrig, als nach ihrem Gefühl und ihren Erfahrungen zu handeln. Nun zeigte es sich, wie wertvoll die Zeit gewesen war, in der sie ihren Vater unterstützt hatte. Sie kannte seine Geschäftspartner ebenso wie die Preise, die sie für ihre Waren fordern konnte, und vermochte bereits nach kurzer Zeit die Bücher besser zu führen, als dies zu den Zeiten ihres Vaters geschehen war. Auch fiel ihr es leicht, die Qualität der angelieferten Waren zu prüfen, und sie konnte meist damit zufrieden sein.
    Doch als zwei Wochen nachdem Ernst abgereist war, der für die Lagerräume zuständige Hofknecht etwa vier Ballen flandrischen Tuches in Empfang nahm und den Schwab bat, die Herrin zu holen, wartete eine böse Überraschung auf sie. Sie musterte einen der Ballen, die noch von Ernsts Vater im Namen von Bartholomäus Leibert bestellt worden waren, und mochte ihren Augen nicht trauen. »Schau dir das Zeug genau an!«, befahl sie dem Schwab. »Hast du jemals einen schlechter gewebten Wollstoff gesehen? Den akzeptiere ich so nicht – und schon gar nicht zu diesem Preis.«
    »Das Tuch ist für das große Turnier gedacht, das der Herzog im Frühjahr abhalten will. Wenn wir die Ballen jetzt zurückgehen lassen, bekommen wir so schnell keinen Ersatz«, wandte der Hofknecht ein, obwohl ihm die Qualität des Stoffes ebenso wenig behagte wie

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