Die Ketzerbraut. Roman
dunklen Stunden zu ihr gehalten hatten.
20.
S eit jenen aufregenden Tagen im Frühsommer des Jahres 1519 waren vier Jahre vergangen. War Vevas und Ernsts Leben in dieser Zeit in ruhigen Bahnen verlaufen, so hatte sich außerhalb ihrer kleinen, überschaubaren Welt vieles verändert. Der spanische König Carlos war seinem Großvater Maximilian als Karl V. auf den Thron des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gefolgt. Die Lehren Martin Luthers, der auch diesem Kaiser getrotzt hatte, waren auf fruchtbaren Boden gefallen.
Einige Zeit hatte Ernst gehofft, Herzog Wilhelm IV . von Bayern würde sich ebenfalls ein Beispiel an dem Reformator nehmen. Immerhin hatte dieser Luthers Thesen zunächst durchaus wohlwollend aufgenommen. Doch damit, das konnte Ernst nun mit eigenen Augen sehen, war es leider vorbei. Er und Veva standen eng aneinandergeschmiegt in der erwartungsfrohen Menge, die sich auf dem Richtplatz versammelt hatte. Der Herzog saß mit einigen Herren seines Hofstaats und deren Damen auf einer Tribüne und wirkte sehr zufrieden.
Ernst senkte den Blick, um ihn nicht ansehen zu müssen. »Mit dem armen Kerl, der als Ketzer hingerichtet werden soll, wird auch der letzte Hauch von Freiheit sterben«, flüsterte er Veva ins Ohr.
Diese fasste mit ihrer Rechten an den Bauch, in dem seit mehreren Monaten ihr zweites Kind heranwuchs, und schüttelte sich. »Vielleicht hätte der Bäckerbursche vorsichtiger sein sollen!«
»Er hat nur die Wahrheit gesagt, doch die Pfaffen haben ihn angeschwärzt und ihm das Wort im Mund verdreht.«
Ernst musste aufpassen, dass er nicht belauscht wurde, denn seit kurzem wehte ein eisiger Wind durch Bayern, unter dem die Lehre Luthers zu erfrieren drohte. Aus Angst, die Reformation könnte auch in Wilhelms Herrschaftsgebiet Einzug halten, hatte der Papst dem Herzog etliche Zugeständnisse gemacht und es zugelassen, dass dieser seine ewig leere Kasse mit Hilfe von Kirchengut auffüllen konnte. Nun besaß Wilhelm IV . auch in kirchlichen Dingen ein größeres Mitspracherecht und war in der Lage, sich in seinem Herzogtum gegen die Bischöfe von Freising, Regensburg, Passau, Salzburg und Augsburg durchzusetzen, ohne sich das Wohlwollen des Papstes in Rom zu verscherzen.
»Es war ein Kuhhandel«, schimpfte Ernst leise vor sich hin. »Der Herzog hat die Seelen seiner Untertanen für Gold und ein paar Urkunden an den Papst verkauft!«
Veva zupfte ihn am Ärmel. »Sei doch still! Oder willst du, dass sie auch dich gefangen setzen und zum Tode verurteilen?«
Ernst lachte unfroh, senkte dann aber die Stimme. »So schnell verbrennt man im Herzogtum Bayern keinen Ketzer, der Geld hat. Unser Freund Prielmayr hat mir gestern anvertraut, dass Herr Wilhelm die Patrizier, die von den Pfaffen als Lutheraner angezeigt worden sind, ein paar Monate in Gewahrsam halten und dann zu hohen Geldbußen verurteilen will. Das bringt ihm mehr ein, als wenn er sie hinrichten lassen würde. Dafür sind solche armen Tröpfe wie der da gut, den sie gleich bringen werden!«
Da die Menge immer mehr anwuchs und Gefahr bestand, dass jemand ihn hören und denunzieren würde, schwieg Ernst nun mit zusammengepressten Lippen. Dafür glitten seine Gedanken zurück in die Zeit, in der er zusammen mit Korbinian Echle die Schriften Luthers in die Stadt geschmuggelt hatte. Damals hatte er sich nur vor Doktor Thürl-Portikus vorsehen müssen. Jetzt aber verbot ein herzoglicher Befehl, solche Druckwerke nach Bayern und vor allem nach München zu bringen, und die Strafen waren hart. Zwar würde er nicht auf dem Richtplatz enden, aber die herzogliche Geldgier dürfte ihn um den größten Teil seines Vermögens bringen.
Veva spürte die Erregung ihres Mannes und litt mit ihm. Sie kannten beide den angeblichen Ketzer, der heute sterben musste, und hatten auch mit ihm über den Glauben gesprochen. Der Verurteilte hätte den Behörden nur ihre Namen nennen müssen, dann wären sie ebenfalls in das Räderwerk der herzoglichen Rechtsprechung geraten. Sie sprach ein kurzes Gebet für den Mann und sah dann zu, wie der Henker noch einmal prüfend um den Richtplatz herumging. Meister Hans, wie sie ihn hier nannten, trug ein leuchtendes Gewand aus rotem und gelbem Tuch und wirkte sehr zufrieden. Einen Ketzer hinzurichten brachte ihm eine Extraprämie ein, die der Rat der Stadt zu bezahlen hatte.
Unwillkürlich erinnerte Veva sich daran, wie Ernst und sie im Sommer 1519 ebenfalls vor der Richtstätte gestanden hatten, als Franz von
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