Die Ketzerbraut. Roman
fassen, der die aufrührerischen Flugblätter im Kirchenschiff verteilte.
»Hochwürdiger Herr Doktor, wir haben vorhin wieder einige dieser Zettel gefunden.«
»Ihr sollt nicht die Zettel finden, sondern die Kerle, die sie in die Kirche schmuggeln!«, fuhr Portikus auf und setzte etwas ruhiger hinzu: »Habt ihr euch gemerkt, wer alles die Kirche betreten hat?«
Der andere nickte. »In etwa schon.«
»Was heißt in etwa?« Der Theologe vermochte seinen Zorn kaum noch zu bezwingen.
Der Wächter hob hilflos die Arme. »Als zur Messe geläutet wurde, sind sehr viele auf einmal in die Kirche geströmt. Die konnten wir uns nicht alle merken.«
»Was könnt ihr euch eigentlich merken – außer dem Weg ins Wirtshaus? Bei unserem Herrgott im Himmel! Ich habe euch eine Aufgabe gestellt, die selbst ein fünfjähriges Kind erfüllen könnte, und das Einzige, was ich von euch zu hören bekomme, ist: Wir konnten uns nicht alle merken!« Seinen Worten zum Trotz begriff Portikus, dass er mit Schimpfen allein nicht weiterkäme, und mäßigte seine Stimme. »Du kennst doch die Pfarrgemeinde der Kirche Unserer Lieben Frau. Hast du oder haben deine Mitbrüder jemanden gesehen, der nicht zu dieser Gemeinde gehört?«
Jetzt nickte der Mann eifrig. »Ja, da waren etliche. Zwei Herren aus der Lombardei zum Beispiel, die beim Thorbräu abgestiegen sind, oder aber der Baumeister aus Augsburg, der wegen der Spitzen für den Turm gerufen worden ist, und mehrere Vaganten samt ihren Weibern. Aber die haben wir nur in den hinteren Teil der Kirche gelassen. Zu den Bänken, auf denen die Flugblätter lagen, sind die nicht gekommen.«
»Die Herren aus der Lombardei werden es wohl auch kaum gewesen sein. Sehen wir uns also den Augsburger an. Diese Stadt ist ein Hort des Aufruhrs und der Rebellion.« Da er nicht offen in Aktion treten wollte, befahl Portikus dem Mönch, mehrere Stadtknechte zu rufen und das Quartier des Augsburger Baumeisters durchsuchen zu lassen.
»Was sollen wir dem Mann sagen, wenn er fragt, warum wir das tun?«, wollte der andere wissen.
»Sagt ihm, ein Teil des Plans vom Dom wäre abhandengekommen und ihr wolltet sehen, ob sich die Blätter in seinem Besitz befinden.« Portikus wusste, auf welch schwachen Füßen eine solche Anschuldigung stand, aber solange er keine herzogliche Erlaubnis besaß, Reisende nach Flugblättern mit Luthertexten durchsuchen zu lassen, sah er sich zu solchen Maßnahmen gezwungen. Zugleich schwor er sich, dem Herzog so lange ins Gewissen zu reden, bis er ihm endlich freie Hand ließ. Dann würde der lange Arm der heiligen Kirche jeden ketzerischen Gedanken in München ausrotten und die Scheiterhaufen mit den Schuldigen auf dem Schrannenplatz hellauf lodern.
10.
V eva wusste vom Bestreben des Doktor Portikus, die Verteiler der Lutherschen Schriften zu fassen, ebenso wenig wie von den Problemen der jungen Magd Rosi. Auch von Ernst Rickingers Abreise nach Innsbruck erfuhr sie erst zwei Tage danach, als der Schwab es in der Küche erzählte.
Nun wurde ihr bewusst, dass sie sich seit ihrem letzten Kirchgang im Haus vergraben hatte. Sie war weder zum Markt gegangen, noch hatte sie sich um die Auffrischung der Biervorräte gekümmert. Hätte der Schwab nicht am Abend gemerkt, dass das Fass leer wurde, und am nächsten Morgen ein neues besorgt, hätten sie dürsten oder das Wasser vom städtischen Brunnen holen müssen, denn das Wasser aus dem eigenen Hausbrunnen roch unangenehm und schmeckte schlecht. Veva vermutete, dass der Misthaufen des Nachbarn an der Grundstücksgrenze Schuld daran trug. Doch mit dem Mann zu reden war ebenso sinnvoll, wie einen Ochsen zu bitten, die Zehn Gebote aufzusagen, und die sonst so gestrengen Brunnenmeister kümmerten sich nicht um Brunnen, die ohne die Zustimmung des Rates betrieben wurden. Da ihr Hofbrunnen sehr viel älter war als jener Erlass des Rates, hatten weder ihr Vater noch ihr Großvater eingesehen, warum sie ihn sich noch einmal hätten genehmigen lassen sollen. Diese Entscheidung gab ihrem Nachbarn jedoch freie Hand. Das war ärgerlich, weil sie mit dem Wasser auch die Tiere in ihren Stallungen tränken mussten. Selbst die Hühner soffen es ungern, und ihre Eier schmeckten faulig.
Veva beschloss, dass sie mit ihrem Vater über die Sache reden musste. Noch immer schrieb sie die Briefe für ihn und trug unter seinem wachsamen Blick das Rechnungsbuch nach. An diesem Morgen saß ihr Vater auf seinem Stuhl, einen Krug Bier in der Hand, und starrte ins
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